Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Wort
Rücktritt nicht in den Mund nehmen werden", räumt Renate Künast,
die Fraktionsvorsitzende der Grünen, im November 2012 ein. Das
Argument, man könne den Bundespräsidenten ja nicht zwingen, ist
zwar zutreffend, aber letztlich vorgeschoben. SPD und Grüne wollen
vermeiden, in die Rolle der Königsmörder zu geraten. Außerdem
fürchtet die Opposition, dass Union und FDP sich schlagartig hinter
Wulff versammeln, sobald man offensiv den Rücktritt des Bundespräsidenten fordert. Heraus kommt ein verbaler Eiertanz, der im Laufe
der Wochen immer absurder wird. Die Versuche, eine Rücktrittsforderung zum Ausdruck zu bringen, ohne das Wort in den Mund zu
nehmen, treibt die verschiedensten Blüten: „Herr Bundespräsident,
erlösen Sie uns!", sagt beispielsweise die Grüne Renate Künast in der
zweiten Januarhälfte im ZDF und SPD-Chef Gabriel versucht es so:
„Also wenn wir erklären, wir wollen mit der Kanzlerin einen Neuen
wählen, dann ist doch klar, dass wir wollen, dass er zurücktritt. Aber
wir können ihn nicht dazu zwingen." Eine klare Rücktrittsforderung bringen die Parteiführungen von SPD und Grünen bis zum Schluss
nicht über die Lippen.
Die Linke verfolgt als einzige Partei im Bundestag zwischenzeitlich
einen sehr konfrontativen Kurs. Anfang Januar 2012, nach Bekanntwerden der Mailbox-Nachricht, geht die Linke mit der Forderung an
die Öffentlichkeit, den Bundespräsidenten des Amtes zu entheben.
Der Rechtsexperte der Linken im Bundestag, Wolfgang Neskovic,
erklärt in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Bundespräsidenten
kann eingeleitet werden, wenn sein Anruf beim Chefredakteur der
Bild-Zeitung und die Drohung mit einer Strafanzeige den Tatbestand
der versuchten Nötigung erfüllen", glaubt Neskovic. Der Vorstoß
weckt zwar das Interesse der Medien, verliert sich dann aber im Nichts.
Und Katharina Schwabedissen, Landeschefin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, stellt zur gleichen Zeit das ganze Amt infrage: „Brauchen wir noch einen Übervater oder Ersatzkönig? Ich meine: Nein",
sagt sie dem WDR. Die Linke spielt jedoch keine maßgebliche Rolle,
da von vornherein klar ist, dass sie bei der Präsidentenfrage keine Karten im Spiel hat. Mit ihrer Weigerung, sich auf die Kandidatur von
Joachim Gauck einzulassen, schoss sich die Linke bereits im Juni 2010
ins Aus. In den Wochen der Krise steht fest, dass die Linke auch bei
der Wahl eines Nachfolgers von Wulff keine Rolle spielen würde.
Richtig ist, dass die Politik in den Wochen der Krise keine Mittel
hat, den Bundespräsidenten zu stürzen. Sie hat aber sehr wohl die Möglichkeit, den politischen Druck dergestalt zu erhöhen, dass der Präsident
von sich aus zurücktritt. Will man verhindern, dass es so weit kommt,
dann ist es gleichermaßen an der Politik, den Bundespräsidenten offensiv zu verteidigen, damit er im Amt bleiben kann. Union und FDP
fehlt in den Wochen der Krise sowohl die Bereitschaft, „ihren" Bundespräsidenten glaubwürdig in Schutz zu nehmen, als auch der Mut,
ihn zu stürzen. Die Opposition wiederum scheut sich vor allem aus strategischen Gründen, den Bundespräsidenten zum Rücktritt aufzufordern. Zwischenzeitlich versucht sie vielmehr, parteipolitisch Kapital
aus der Krise zu schlagen. Letztlich begibt sich die Politik in eine Zuschauerposition und geht in Deckung, während die Medien schnell
und bereitwillig die Aufgabe übernehmen, Wulff zum Rücktritt zu
drängen. Der SPD-Politiker Oppermann macht aus der Rollenverteilung in der Rückschau keinen Hehl: „Die Medien waren die treibende
Kraft, nicht die Opposition", sagt Oppermann im Oktober 2012. Die
Politik will sauber aus der Präsidentenkrise herauskommen, sie macht
sich einen schlanken Fuß und nimmt billigend in Kauf, dass es zu einem Machtkampf zwischen Wulff und einem Teil der Medien kommt.
Am Ende überlässt es die Politik den Medien, Wulff aus dem Amt zu
entfernen, um sich selbst nicht die Finger schmutzig zu machen.
Die Medien
as die Bild-Zeitung am 13. Dezember 2011 über die private Hausfinanzierung der Wulffs und die fragwürdige
Auskunft gegenüber dem niedersächsischen Landtag veröffentlicht, ist das Ergebnis langer, beharrlicher Recherchen. Dass die
beiden Investigativreporter von Bild dafür einige Monate später mit
dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet werden, erweckt den Eindruck, dass ausschließlich Bild die Anerkennung
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