Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
dimap
Anfang Juni 2010, schon wenige Tage nach der Nominierung, ergibt
eine deutliche Präferenz in der Bevölkerung für Gauck: Bei einer
Direktwahl des Bundespräsidenten hätten sich demnach 40 Prozent
der Bevölkerung für Gauck entschieden und nur 31 Prozent für
Wulff, wobei Gauck in Ostdeutschland besonders große Sympathien
genießt. Die Kandidatin der Linkspartei, Lukrezia Jochimsen, spielt
mit drei Prozent für die Bevölkerung fast keine Rolle, auch in Ostdeutschland nicht. Letztlich geht das politische Kalkül von SPD und
Grünen voll auf: Der rot-grüne Kandidat Gauck hat mindestens so
sehr ein konservativ-liberales Profil wie ein linkes und spricht dementsprechend auch das schwarz-gelbe politische Lager an. Wie sehr, das zeigt sich nicht nur in den Wochen vor der Bundesversammlung,
sondern auch bei der Präsidentenwahl selbst.
Die Präsidentenwahl als Machtfrage
er 30. Juni 2010 ist ein Mittwoch. Im Reichstag auf dem
Gang vor dem Plenum wimmelt es von Journalisten, Fotografen, Kameraleuten und Technikern. Die Fernsehsender
sind mit mobilen Sendestudios vor Ort, für die Radiosender sind
Produktionsplätze eingerichtet, man sitzt und sendet dicht gedrängt
in der Wandelhalle auf der Plenarebene. Auch die Korrespondenten
der Nachrichtenagenturen und Zeitungen sind zahlreich vertreten.
Bekannte Gesichter unter den Delegierten, die auf dem Weg ins Plenum sind, kommen nur wenige Meter weit, bevor sich ihnen ein
weiteres Mikrofon entgegenstreckt. Auch im Plenum geht es deutlich
enger zu als sonst. Wie bei jeder Bundesversammlung sind in den
Tagen zuvor sämtliche Abgeordneten-Sitze entfernt und durch die
doppelte Menge Stühle ersetzt worden. 1.244 Delegierte hat diese 14.
Bundesversammlung, die Hälfte von ihnen stellen die Abgeordneten
des Bundestages, die andere Hälfte kommt aus den Bundesländern,
um ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Christian Wulff betritt den
Reichstag als Ministerpräsident von Niedersachsen und alles spricht
dafür, dass er ihn als Bundespräsident wieder verlassen wird. Die
schwarz-gelbe Koalition aus CDU, CSU und FDP verfügt über eine
komfortable Mehrheit von 21 Stimmen in der Bundesversammlung,
an der Wahl Wulffs besteht objektiv kein Zweifel. Dennoch liegt
Spannung in der Luft: Eine erhebliche, letztlich aber unbekannte
Zahl der Delegierten von Union und FDP hegt große Sympathien
für den rotgrünen Kandidaten Joachim Gauck. Vor allem bei vielen
ostdeutschen Delegierten der schwarz-gelben Koalition steht Gauck
hoch im Kurs. Zwar haben einige im Vorfeld öffentlich erklärt, für
Gauck stimmen zu wollen, doch wie viele es am Ende sein werden, weiß natürlich niemand, schließlich ist die Abstimmung geheim.
Dass Christian Wulff schlussendlich gewählt wird, daran besteht kein
Zweifel, da im dritten Wahlgang nur eine einfache Mehrheit der
Stimmen nötig ist. Und dass Wulff diese Mehrheit erreicht, steht
außer Frage. Dennoch ist die Gemengelage ganz nach dem Geschmack der Medien. Die Bundesversammlung im Juni 2010 hat den
„Event Charakter", den sich die Medien wünschen.
Die Spannung ist auch deshalb so groß, weil allen Anwesenden klar
war, dass nicht nur der neue Bundespräsident zur Wahl steht. Es ist
auch ein Votum über die Kanzlerin. In der Bundesversammlung steht
nicht nur der künftige Präsident zur Abstimmung, sondern auch die
Autorität der Kanzlerin in ihrer eigenen Koalition. In gewisser Weise
stellt Merkel an diesem 30. Juni die Vertrauensfrage. Merkels schwarzgelbe Koalition steht auf dem Tiefpunkt ihres Ansehens. Der ARDDeutschlandtrend von Infratest dimap macht das ganze Elend deutlich: Fast drei Viertel der Bevölkerung wünschen sich demnach eine
andere Regierung oder Neuwahlen und geben an, von der Leistung
der Regierung enttäuscht zu sein. Die Hälfte traut Angela Merkel nicht
mehr zu, die Probleme in den Griff zu bekommen. Zum anderen
grummelt es bei vielen schwarz-gelben Delegierten aufgrund der Art
und Weise, wie Merkel die Kandidatenfindung betrieben hat. Christian Wulff ist der Kandidat der schwarz-gelben Koalition, vor allem
aber ist er Merkels Kandidat. „Selbst Merkels Stellvertreter in der CDU
fühlten sich bei der Suche nach einem geeigneten Kandidaten nicht
wirklich eingebunden", erinnert sich ein Mitglied der CDU-Führung.
Dass am Ende Joachim Gauck zum Bundespräsidenten gewählt werden könnte, ist dabei nur unter sehr unwahrscheinlichen Voraussetzungen denkbar. Im dritten
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