Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
vermutet, dass
sie deshalb nicht an der Bundesversammlung teilnehmen darf, weil sie
Sympathien für Gauck hat erkennen lassen.
Am 17. Juni 2010 erscheint ein Aufruf des ehemaligen sächsischen
Ministerpräsident Kurt Biedenkopf in der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung mit dem Titel „Gebt die Wahl frei! ", mit dem sich ein prominentes CDU-Gesicht, wenn auch aus dem Ruhestand, entschieden
gegen den Kurs der Kanzlerin wendet. Biedenkopf stellt zunächst fest,
dass bei der Bundesversammlung nicht über die Bundesregierung,
sondern über den Bundespräsidenten abgestimmt werde. Einen Fraktionszwang gebe es deshalb nicht. Die Kanzlerin fordert er deshalb
auf, die Abstimmung für die schwarz-gelben Delegierten freizugeben.
Die Regierung versuche, „sich der Bundesversammlung für die Entscheidung ihrer machtpolitischen Fragen zu bedienen". Den schwarz gelben Kandidaten Christian Wulff ruft Biedenkopf schließlich auf,
zu erklären, dass er keine Stimmen haben wolle, die der Stabilisierung
der Regierung gälten. „Das war ein gefährliches Ding", erinnert sich
ein Mitglied der CDU-Parteiführung.
Im Adenauer-Haus nimmt man die Sache sehr ernst. Die Kanzlerin
selbst soll versucht haben, Biedenkopf von seinem Appell abzubringen.
Der Widerspruch wird schließlich auch im Kreis der „Ehemaligen"
organisiert: Der frühere Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel,
sein Nachfolger Dieter Althaus sowie Ex-CSU-Chef Erwin Huber
machen öffentlich Front gegen Biedenkopf. Die Wahl des Bundespräsidenten sei schon immer parteipolitisch geprägt gewesen, betont Vogel. Und Huber warnt vor „erheblichen Rückwirkungen" für die
schwarz-gelbe Koalition, sollte Christian Wulff bei der Wahl durchfallen. Die Präsidentenwahl sei kein „Beauty-Contest", bringt es Huber
schließlich bajuwarisch-knackig auf den Punkt. Die Zeitung Die Welt
konstatiert danach: „Die Mehrheit für Wulff bröckelt und bröckelt."
Das ist zwar übertrieben, aber in der Öffentlichkeit entsteht dieser
Eindruck zweifellos.
Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker schließt sich einige
Tage später Biedenkopfs Aufruf an. Damit mischen zwei Ikonen der
CDU das eigene Lager auf. Weizsäcker, der als Inbegriff des Staatsoberhaupts in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt gilt, und Biedenkopf, ein Ex-Generalsekretär und Ex-Ministerpräsident mit glänzender Bilanz in Sachsen - das wiegt schwer. Im Konrad-AdenauerHaus wird diese Debatte deshalb als brandgefährlich betrachtet, da die
Wortführer über erhebliche Autorität verfügen. Zwei Tage vor der
Bundesversammlung erklären Bernhard Vogel und der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in einem Gastbeitrag für
die FrankfurterAllgemeine, dass sie „aus freien Stücken und von ganzem
Herzen" Christian Wulff unterstützten. Die Auswirkungen dieser Debatte sind zwar nicht messbar, sie machen der Öffentlichkeit aber deutlich, dass bei der Union ordentlich Druck im Kessel ist.
Joachim Gauck selbst weiß die Situation geschickt für sich zu nutzen. Von Anfang an positioniert er sich konsequent als überparteilicher
Kandidat. Schon bei seiner Vorstellung durch die Parteispitzen von
SPD und Grünen am 4. Juni 2010 in Berlin bekennt er freimütig, er
sei „weder rot noch grün". In einem Interview mit dem Stern räumt
Gauck Mitte Juni ein, er habe kurz darüber nachgedacht, aus Rücksicht aufAngela Merkel sogar auf eine Kandidatur zu verzichten. „Warum soll ich jene ärgern, die dir eigentlich nahestehen? Das ist doch
schade", sagt Gauck in dem Interview und erweckt damit, wie in vielen anderen Äußerungen auch, den Eindruck, als stehe er dem schwarzgelben Lager im Grunde näher als dem rot grünen, das ihn nominiert
hat. Die beiden Kandidaten behandeln sich dabei durchweg mit Respekt und verzichten auf persönliche Angriffe. Unbemerkt von der
Öffentlichkeit kommt es in den Wochen des „Präsidentschaftswahlkampfes" zu einer Begegnung zwischen Wulff und Gauck. Wulff bittet um das Gespräch, es findet unter vier Augen in der Europäischen
Akademie in Berlin statt. Beide vereinbaren striktes Stillschweigen
darüber und halten sich auch daran.
Gauck gelingt es in den Wochen zwischen Nominierung und Bundesversammlung, sich große Sympathien in der Bevölkerung zu erwerben, während Christian Wulff mit dem Etikett des machtpolitisch motivierten Merkel-Kandidaten und farblosen Berufspolitikers
zunehmend blasser erscheint. Eine Umfrage von Infratest
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