Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
CDU-Kreisen
hatten. Grundsätzlich gelingt es Wulff jedoch, seinen Abschied aus
Hannover geordnet und geräuschlos über die Bühne zu bringen: Mit
David McAllister, dem CDU-Fraktionschef im Landtag, wird sein
politischer Ziehsohn Ministerpräsident. Wulff hatte ihm bereits 2008
den CDU-Landesvorsitz übergeben. Ein Hauen und Stechen um die
Nachfolge blieb dadurch aus.
Den „präsidialen" Stil des Ministerpräsidenten interpretierten einige auch als Unlust an der Politik. Gelegentlich kommen Gerüchte auf,
er plane einen Wechsel in die Wirtschaft, auf einen lukrativen Vorstandsposten. Zwar soll Wulff tatsächlich Angebote gehabt haben,
über einen Ausstieg aus der Politik hat er jedoch nicht ernsthaft nachgedacht. Er wollte Ministerpräsident bleiben und war entschlossen,
bei der nächsten Landtagswahl 2013 noch einmal anzutreten. Alles
sprach dafür: Christian Wulff ist Anfang 2010 der unbestritten beliebteste Politiker in Niedersachsen. In einer Umfrage von Infratest
dimap erreicht Wulff im Januar eine Zustimmung von 77 Prozent,
weit vor allen anderen führenden Landespolitikern. Er ist einer der
erfolgreichsten Spitzenpolitiker der CDU. Doch als Merkels Angebot
kommt, Bundespräsident zu werden, zögert er nicht lange - was gar
nicht selbstverständlich ist.
Ein Wechsel ins Bellevue ist politisch betrachtet Ehre und Endstation zugleich. Es ist eine Grundsatzentscheidung, ein Abschied aus einem politischen Amt mit Gestaltungsauftrag, und nicht ohne Risiko für die
weitere Lebensplanung: Wulff wird im Juni 2010 gerade 51 Jahre alt
und er kann nicht sicher sein, nach fünf Jahren als Bundespräsident noch
einmal wiedergewählt zu werden. Bisher sind Altbundespräsidenten
überwiegend ältere Herren gewesen, die sich nach Ende einer Amtszeit
mit aller Berechtigung in den Ruhestand verabschiedet haben. Christian Wulff wäre nach nur einer Amtszeit im Bellevue vom Rentenalter
noch weit entfernt. Dennoch greift er letztlich sofort zu: Die Präsidentschaft ist die Chance seines Lebens und sie fällt ihm quasi in den Schoß.
Bundespräsident zu werden bedeutet einen Platz in den Geschichtsbüchern, und zwar in der Geschichte der Bundesrepublik, nicht Niedersachsens. Für Christian Wulff, den Mann aus kleinen Verhältnissen,
wird mit der Perspektive, Staatsoberhaupt zu werden, ein Traum wahr.
Wulff wächst in Osnabrück auf. Die Familie bricht früh auseinander: Wulffs Vater verlässt sie, als sein Sohn zwei Jahre alt ist. Die
Mutter erkrankt an Multipler Sklerose, als Christian Wulff 16 ist. Ihr
zweiter Mann sucht ebenfalls das Weite, sodass sich der Sohn um die
kranke Mutter kümmert und dazu noch um seine jüngere Halbschwester aus der zweiten Beziehung seiner Mutter. Eine glückliche
Jugend sieht anders aus. Als Teenager übernimmt Wulff die Vaterrolle in der Familie, die eigentlich nur zu groß sein kann für einen Jugendlichen. Nur ganz vereinzelt hat Wulff öffentlich über seine Jugend
und vor allem seine Mutter gesprochen: Nach seiner Nominierung
zum Präsidentschaftskandidaten beschreibt er sie in einem Zeitungsinterview als „nicht sehr lebenstauglich", als eine Frau, die sich „über
Friseurbesuche und Einkäufe verwirklicht" habe. Aufgrund ihrer
Krankheit habe er ihr aber keine Vorwürfe gemacht.
Erfüllung und Erfolg findet er woanders: Christian Wulff entdeckt
die CDU für sich. Mit 16 Jahren tritt er in die Partei ein, engagiert
sich schon als Schüler und steigt schnell auf. Als 19-Jähriger wird er
Landesvorsitzender der Schülerunion in Niedersachsen und schließlich Bundesvorsitzender der CDU-Nachwuchsorganisation, später wird er
Landesvorsitzender der Jungen Union. Nach dem Abitur studiert
Wulff Jura in Osnabrück, wird Rechtsanwalt in einer Kanzlei, beruflich bleibt die Politik aber sein Lebensinhalt: Er wird Ratsherr in Osnabrück, schließlich Vorsitzender der CDU-Fraktion im Rathaus und
schafft es in den CDU-Landesvorstand. 1994 schließlich gelingt ihm
ein erster politischer Durchbruch: Er wird mit 35 Jahren Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl - und damit Herausforderer
von Gerhard Schröder.
Die Aufgabe erweist sich als zu groß, die CDU erleidet bei der Wahl
eine klare Niederlage, verliert über fünf Prozentpunkte. Zwar kann
sich Christian Wulff damit trösten, dass er es als einziger CDU-Kandidat schafft, der SPD ein Direktmandat wegzunehmen, doch am
Wahlergebnis ändert das wenig. Im Landtag übernimmt Wulff den
Vorsitz der
Weitere Kostenlose Bücher