Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
ins Schloss muss der Diplomat zu Fuß zurücklegen. Im Schloss wird er vom Protokollchef empfangen und ins obere Stockwerk geführt, wo der Bundespräsident im Langhanssaal wartet. Die
Tür zum Saal ist jedoch geschlossen. Der Protokollchef klopft an,
öffnet sie und kündigt den Diplomaten an, der daraufhin eintritt und
dem Bundespräsidenten sein Beglaubigungsschreiben überreicht. Erst
dann ist der neue Botschafter offiziell im Amt. In einem angrenzenden
Salon findet im Anschluss ein Gespräch statt, für das 15 Minuten
vorgesehen sind. Traditionell tragen der Bundespräsident und der Botschafter einen Cut, ein Kleidungsstück, das sonst weitgehend aus dem
gesellschaftlichen Leben verschwunden ist. Der neue Status des Diplomaten findet protokollarisch Ausdruck: Wenn er Schloss Bellevue
wieder verlässt, fährt der Wagen vor und erwartet ihn am Fuße der
Treppe. Gleichzeitig wird die Fahne seines Heimatlandes vor dem
Schloss hochgezogen.
In mancherlei Hinsicht endet die Macht des Bundespräsidenten dort,
wo das Protokoll zuständig ist. Abweichungen von den Regeln, über
die das Protokoll wacht, sind ausgesprochen selten und nur mit großer
Mühe durchzusetzen - auch für ein Staatsoberhaupt. Will der Bundespräsident das Gespräch mit einem Staatsgast bei schönem Wetter nicht
im Schloss, sondern draußen im Präsidentengarten führen, dann muss
er beharrlich insistieren. Seine ganze Pracht entfaltet das Bellevue, wenn
der Bundespräsident zu Ehren eines Staatsgastes zum Staatsbankett
lädt. Im Sommer tritt das Wachbataillon der Bundeswehr im Ehrenhof
vor dem Schlossportal an, im Großen Saal im ersten Stock werden die
Tische prachtvoll eingedeckt mit Porzellan, das der goldene Adler des
Bundespräsidenten ziert. Ein Heer von Kellnern mit weißen Handschuhen bedient die bis zu 150 Gäste. Bei Staatsbanketten dieser Größe übernimmt meist ein Sternekoch aus einem Berliner Nobelhotel das
Regiment in der Küche des Bellevue. Alles wird liebevoll bis ins kleinste Detail geplant: So wird der Blumenschmuck im Schloss farblich den
Nationalfarben des Gastlandes angepasst, als Zeichen der Aufmerksamkeit für den Staatsgast.
Zwar ist all das noch ein gutes Stück entfernt von den Zwängen und
Ritualen eines monarchischen Hofprotokolls, dennoch ist es nah daran, und zwar nicht nur, wenn Staatsgäste im Schloss empfangen werden.
Wenn der Bundespräsident durch die Säle von Schloss Bellevue schreitet, ist immer dafür gesorgt, dass ein dienstbarer Geist die Türen öffnet.
Ist er im Lande, dann weht auf dem Dach von Schloss Bellevue die
Standarte, ein schwarzer Adler auf goldenem Grund mit roter Umrahmung, befindet er sich im Ausland, wird sie eingeholt. Letztlich verkörpert der Bundespräsident das letzte bisschen Monarchie, was sich
Deutschland erhalten hat.
Schloss Bellevue, der erste Amtssitz des Bundespräsidenten, befindet
sich im Berliner Tiergarten. Bis heute hat auch die Villa Hammerschmidt in Bonn noch den Status einer Präsidentenresidenz, doch
verbringt der Bundespräsident hier nur wenige Tage im Jahr. Schloss
Bellevue ist, verglichen mit den Residenzen gekrönter europäischer
Häupter, bescheiden. Es hat ein Hauptgebäude und zwei Seitenflügel,
die zusammen zur Straße hin ein „U" bilden, das den sogenannten
Ehrenhof einrahmt. Das Schloss wurde Ende des 18. Jahrhunderts für
den preußischen Prinzen Ferdinand, den jüngeren Bruder von Friedrich dem Großen, gebaut und war ein Wohnschloss. Die Bundespräsidenten haben es jedoch überwiegend nicht zum Wohnen genutzt,
mit Ausnahme von Roman Herzog, der als Einziger in seiner Amtszeit
im Bellevue gewohnt hat. Am Ende hatte er jedoch die Nase voll.
Herzog soll seinem Nachfolger Johannes Rau dringend abgeraten haben, ins Schloss einzuziehen: „Warm Wasser haben Sie nie, kalt Wasser manchmal, Abwasser immer", soll der scheidende dem neuen Bundespräsidenten gesagt haben. Alle anderen „Berliner" Bundespräsidenten entscheiden sich dafür, in einer Dienstvilla zu wohnen. Bei Köhler
und Wulff ist es ein Haus in der Pücklerstraße in Berlin-Dahlem.
Da das Bellevue als Wohn- und nicht als Lustschloss konzipiert
war, verfügt es über wenige große Säle, die sich für aufwendige gesellschaftliche Ereignisse eignen. Der Große Saal im oberen Teil des
Hauptgebäudes, in dem Staatsbankette stattfinden und die Mitglieder der Bundesregierung ernannt oder entlassen werden, ist erst bei der
Rekonstruktion des Schlosses in
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