Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
dann im Jahre 2006
die Leitung der Staatskanzlei in Hannover. Auf Hagebölling wartet
im Sommer 2010 keine leichte Aufgabe. Den Mitarbeitern steckt noch
der Schock von Horst Köhlers Rücktritt in den Gliedern. Seit Monaten gärt es außerdem im Amt: Im Herbst 2009 trat Gert Haller, Köhlers langjähriger Amtschef, völlig überraschend wegen einer schweren
Erkrankung von seinem Posten zurück. Haller war Köhlers engster
Vertrauter, sein Korrektiv und dazu ein Behördenchef, der von den
Mitarbeitern des Amtes akzeptiert, von vielen sogar regelrecht verehrt
wurde. Schon ein halbes Jahr später verstarb Haller.
Neuer Amtschef wurde der Leiter der Abteilung Innenpolitik,
Hans-Jürgen Wolff. Wolff entpuppte sich als Fehlbesetzung, er führte
sich auf wie die Axt im Walde. Das bekam vor allem der Präsidentensprecher, Martin Kothe, zu spüren. Spätestens als Kothe sich frustriert
verabschiedete, wurde offensichtlich, dass es im Bundespräsidialamt
schwerwiegende Probleme gab. Kothe blieb nicht der Einzige, der sein
Heil in der Flucht suchte. Der Bundespräsident mischte sich nicht ein,
Köhler ließ seinen Amtschef gewähren. Als Köhler zurücktat, war das
Präsidialamt eine Großbaustelle, das Amt brauchte einen Neuanfang.
Es gehört zu den Verdiensten von Lothar Hagebölling, dass ihm dieser Neuanfang innerhalb kurzer Zeit gelingt.
Nach dem Rücktritt von Horst Köhler sowie auch zwei Jahre später,
als Christian Wulff zurücktritt, wird in den Medien und auch vereinzelt
im Bundestag die Frage aufgeworfen, ob das Amt überhaupt gebraucht
wird. Über die Leichtfertigkeit, mit der über Sein oder Nichtsein eines
bewährten Verfassungsorgans sinniert wird, kann man sich nur wundern. Das gilt auch für die Überlegung, den Bundespräsidenten direkt von der Bevölkerung wählen zu lassen. Derlei Gedankenspiele lassen
völlig außer Acht, dass sich die Statik der Verfassung damit grundlegend ändern würde. Ein direkt gewählter Bundespräsident besäße die
höchste demokratische Legitimation, da er der einzige politische Amtsträger wäre, der durch eine Direktwahl ins Amt käme. Nicht einmal
der Bundeskanzler wird direkt gewählt. Dass ein Bundespräsident aus
dieser Tatsache eine völlig andere Rolle als bisher ableiten könnte, liegt
auf der Hand. Letztlich würde eine Direktwahl ihm eine ähnliche
Legitimation verleihen, wie sie der Reichspräsident in der Weimarer
Republik hatte. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben sich
bewusst für einen weitgehend auf repräsentative Aufgaben beschränkten Bundespräsidenten entschieden. Die Machtbalance zwischen den
Verfassungsorganen ist fein austariert und hat sich in der Geschichte
der Bundesrepublik bewährt. Ein Organ zu entfernen oder grundlegend
zu verändern, würde diese Balance mit einiger Sicherheit stören.
Die politische Bedeutung des Bundespräsidenten ist eher gering.
Gerne wird er als Staatsnotar bezeichnet, da die „Ausfertigung" von
Gesetzen, die Bundestag und gegebenenfalls Bundesrat beschlossen
haben, zu seinen Aufgaben gehört. Er prüft Gesetze dahin gehend,
ob sie verfassungsmäßig zustande gekommen sind, bevor er sie unterschreibt. Das ist kein Automatismus: Vereinzelt kommt es vor,
dass Bundespräsidenten ihre Unterschrift verweigern, doch können
sie das nur aufgrund von verfassungsmäßigen Bedenken tun und
nicht, weil sie inhaltlich mit einem Gesetz nicht übereinstimmen.
Auch die Ernennung und Entlassung des Bundeskanzlers sowie - auf
seinen Vorschlag - auch der Mitglieder der Bundesregierung gehört
zu den Aufgaben des Bundespräsidenten, doch bestimmen sie naturgemäß nicht seinen Alltag. Es handelt sich vielmehr um formelle
Akte, die der Bundespräsident nicht verweigern kann. Letztlich hat
er einen Minister zu entlassen, wenn der Kanzler es so entschieden
hat. In ganz seltenen Fällen sieht das Grundgesetz vor, dass der Bundespräsident wirkliche politische Bedeutung und Entscheidungsspielraum hat: dann nämlich, wenn er über die vorzeitige Auflösung
des Bundestages zu entscheiden hat. So kann er den Bundestag auf lösen, wenn bei der Wahl eines Kanzlers selbst im dritten Wahlgang
keine absolute Mehrheit zustande kommt, was in der Geschichte der
Bundesrepublik noch nie der Fall war. Auch wenn der Kanzler die
Vertrauensfrage stellt und das Vertrauen des Bundestages nicht mehr
hat, löst der Bundespräsident den Bundestag auf, um Neuwahlen
herbeizuführen. Das war bisher dreimal
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