Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
müssen, ist sein Fehler - es bleibt dennoch eine kurze Vorbereitungszeit. Zudem muss Wulff in die völlig neue Rolle des
Staatsoberhaupts hineinfinden.
Wie schwierig diese Rolle auszufüllen ist, ist den meisten jedoch
nicht bewusst. Allerdings wird gerade in einer Ausnahmesituation, wie
sie nach Köhlers Rücktritt besteht, erwartet, dass derjenige, der sich
bereit erklärt, das Amt zu übernehmen, sich diese Aufgabe auch zutraut und sie auszufüllen versteht. Insofern musste Wulff im Sommer
2010 klar sein, dass er die von ihm in dem Fernsehinterview angesprochene „Karenzzeit" nicht haben würde. Umso mehr, als der überwiegende Teil der Medien ihn als Bundespräsident nicht wollte, er also
im Gegenteil unter besonderem Zugzwang stand. Der Druck war
dabei durchaus unverhältnismäßig: Bei Wulff wurde nach drei Monaten im Amt bereits gefragt, ob da noch etwas komme, andere Bundespräsidenten konnten ein halbes Jahr im Amt sein, ohne dass diese
Frage gestellt wurde.
Der Umzug der Familie mit kleinen Kindern bedeutet zunächst
einmal eine Menge Aufwand. Die Wulffs verlagern ihren Hauptwohnsitz von Großburgwedel nach Berlin, behalten aber ihr Einfamilienhaus. In Berlin bezieht die Familie die große, repräsentative Dienst Villa des Bundespräsidenten in der Pücklerstraße in Dahlem. Das
Leben darin ist speziell. Im Erdgeschoss sitzen Beamte des Bundeskriminalamts und beobachten das Geschehen rund um das Anwesen auf
Bildschirmen. Die Fenster dürfen aus Sicherheitsgründen nicht geöffnet werden, sobald der Bundespräsident im Haus ist. Horst Köhler war
2004 der erste Bundespräsident, der hier einzog, als Nachmieter von
Gerhard Schröder, der die Villa als Dienstwohnung nutzte, bevor er
in die Einliegerwohnung im Kanzleramt zog. Seit Roman Herzog
wohnte kein Bundespräsident mehr im Bellevue und auch für die
Wulffs kommt ein Leben im Schloss nicht infrage. Die Dienstvilla in
der Pücklerstraße ist knapp hundert Jahre alt, im Sommer 2010 steht
eine aufwendige Renovierung an. Das Dach ist undicht und die Privatwohnung für das Staatsoberhaupt im ersten Stock alles andere als
kinderfreundlich. Dementsprechend dauert es einige Zeit, bis das
Haus renoviert und umgebaut ist und die Wulffs mit ihren beiden
Kindern, dem siebenjährigen Leander aus Bettina Wulffs erster Ehe,
und ihrem gemeinsamen Sohn, dem zwei Jahre alten Linus, einziehen
können. Wulffs Tochter Annalena, sie ist 17 Jahre alt und wohnt in
Osnabrück bei ihrer Mutter, bekommt ein Zimmer unterm Dach. Erst
im Januar 2011 ist es so weit. Christian Wulff übernachtet bis dahin
gelegentlich im Schloss oder pendelt nach Hannover.
Die ersten hundert Tage im Amt galten früher einmal als Schonzeit
für jemanden, der sich in seiner neuen Aufgabe erst orientieren muss.
Davon kann heute keine Rede mehr sein. Mittlerweile werden in den
Medien 100-Tage-Bilanzen gezogen, in denen es eher darum geht,
was bereits erreicht wurde. Bei Wulff geht es nach der kritischen Haltung der Medien zu seiner Kandidatur zunächst vor allem um die
Frage, ob er dem Amt gewachsen ist. Wulff lässt sich in seinen ersten
hundert Tagen im Amt zwei Mal auf das Glatteis der Tagespolitik
locken, auf das er sich als Bundespräsident besser nicht begibt. Wulffs
tagespolitische Fettnäpfe heißen Adolf Sauerland und Thilo Sarrazin. Zunächst erwischt er jedoch noch einen anderen: Carsten Maschmeyer. Nach den Strapazen rund um die Bundespräsidentenwahl gönnt
sich Familie Wulff vom 15. bis 26. Juli einen Urlaubsaufenthalt auf
Mallorca. Die Wulffs entscheiden sich für eine Villa, die Carsten
Maschmeyer gehört. Zwar bezahlt der frisch gebackene Bundespräsident für den Aufenthalt auf Mallorca, dennoch schlägt die Wahl der
Herberge Wellen in den Medien. Auch im politischen Betrieb der
Hauptstadt ruft sie Kopfschütteln hervor. Wulff macht sich damit
angreifbar, erweckt er doch den Eindruck mangelnder Distanz zu
einem prominenten Unternehmer mit ausgesprochen schlechtem Ruf.
Manch einem in der Union, der Wulff in der Bundesversammlung
nur mit wenig Begeisterung gewählt hat, ist nicht zuletzt seine Freundschaft zu Maschmeyer ein Dorn im Auge. Es sind jedoch vor allem
die Medien, die Wulff kritisieren, so der Spiegel, der die Reise „anrüchig" findet. Die Politik hat kein Interesse daran, den gerade erst gewählten Bundespräsidenten in Bedrängnis zu bringen. Dennoch ist
man auch in der Union intern entsetzt über die Instinktlosigkeit des
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