Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Besuch von Arnold Schwarzenegger aufregender finden als
den des deutschen Bundespräsidenten - zumindest beherrscht Schwarzenegger die Berichterstattung. Der Gast aus Deutschland sieht dagegen blass aus - in Moskau ist außerdem bekannt, dass der deutsche
Präsident im Vergleich zum russischen wenig zu melden hat, man
weiß, dass in Deutschland die Kanzlerin das Sagen hat.
Der Kreml zeigt dennoch, wie wichtig man den Besuch aus
Deutschland nimmt, und die Wulffs werden mit viel Aufmerksamkeit
vom russischen Präsidentenpaar empfangen. Fünf Stunden lang dauert die Visite im Kreml, was ungewöhnlich lang ist. Während der
Bundespräsident mit dem russischen Präsidenten spricht, wird Bettina Wulff von Swetlana Medwedewa empfangen. Die unglaubliche
Pracht der historischen Säle im Kreml beeindruckt den neuen Bundes präsidenten: Christian Wulff ist überwältigt. Mit dem Besuch in
Moskau erschließt sich für Wulff eine neue Welt, als Bundespräsident
hat er plötzlich Zugang zu den Mächtigsten der internationalen Politik, begegnet ihnen auf Augenhöhe. Der protokollarische Pomp
eines Staatsbesuchs macht wohl jedem Staatsoberhaupt die Einzigartigkeit seiner Position bewusst, doch der Besuch in Russland ist für
Wulff in dieser Hinsicht ein Schlüsselerlebnis. Es ist die erste Weltmacht, die er als Bundespräsident besucht, und Wulff kommt schnell
auf den Geschmack: Nach dem Besuch im Kreml spricht er mit
leuchtenden Augen von der Begegnung mit Medwedew, er ist regelrecht euphorisch. Das Zusammentreffen mit Putin hingegen, „unter"
Medwedew Regierungschef, schildern Mitglieder der deutschen Delegation im Anschluss als kühl und unangenehm. Als Wulff das Gespräch auf die Themen Demokratie, politische Kultur, Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Russland lenken will, habe Putin ihn
abblitzen lassen. Dennoch setzt Wulff hier Akzente: Er trifft sich am
zweiten Tag seines Aufenthalts in Moskau mit Vertretern der russischen Zivilgesellschaft. Die Bundestagsabgeordneten, die Wulff auf
seiner Russlandreise begleiten, sind angetan vom Auftreten des neuen
Bundespräsidenten und auch seiner Frau. „Die beiden machen das
ganz hervorragend", sagt die Grünen-Abgeordnete und Menschenrechtsexpertin Marieluise Beck in Moskau.
Allerdings muss Wulff die Erfahrung machen, dass bei Präsidentenreisen ins Ausland zwar alles aufgeboten wird, was das protokollarische Zeremoniell zu bieten hat, sich das Interesse der Medien daheim
allerdings in Grenzen hält. So wird über den Besuch im Kreml und
die Begegnungen mit Medwedew und Putin kaum berichtet, während
eine Russlandreise der Kanzlerin die Schlagzeilen beherrschen würde.
Dass eine lächerliche Kuriosität am Rande der Reise die Medien am
Ende mehr interessiert als die politischen Gespräche, die der Bundespräsident führt, ärgert ihn maßlos. Nach dem ersten, politisch und protokollarisch bedeutendsten, Tag des Besuchs ist im Presseecho im
wahrsten Sinn des Wortes der Wurm drin.
Aufhänger ist eine kleine Geschichte am Rande des offiziellen
Mittagessens, das für das deutsche Präsidentenpaar im prächtigen
Alexandersaal des Kreml gegeben wird. Nach dem Essen behauptet
der Gouverneur der Region Twer, der auch geladen ist, in seinem Salat
einen Wurm entdeckt zu haben, und verbreitet ein Foto davon, das er
während des Essens mit seinem Handy macht, anschließend über
Twitter. Der Kreml ist verärgert, und man erzählt sich, der Gouverneur
soll den Witz auf Kosten der Kreml-Küche bereut haben. Der Bundespräsident jedenfalls, der von der Geschichte auch erst im Nachhinein erfährt, muss erleben, wie die lustige Fußnote über den Wurm
im Kreml-Salat ganz nach dem Geschmack der Medien ist. Es ist
schließlich die neue First Lady, die das mediale Interesse noch einmal
zu wecken versteht: Im weiteren Verlauf der Reise rückt die Präsidentengattin in den Fokus der Berichterstattung. Die mitgereisten deutschen Journalisten aus Berlin sind begierig auf Geschichten rund um
Bettina Wulff, die sich so deutlich von ihren „Vorgängerinnen" unterscheidet, allein schon aufgrund ihres Alters.
Nach dem Besuch in Twer fährt die gesamte Delegation mit dem
„Sapsan", einem Schnellzug ähnlich dem ICE in Deutschland, nach
St. Petersburg. Die Zugfahrt des Bundespräsidenten soll dem Sapsan
zu mehr Popularität verhelfen, schließlich handelt es sich um ein Produkt der Firma Siemens. Während der Zugfahrt spricht zunächst der
Bundespräsident mit
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