Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
aus.
Dass das Bundespräsidialamt nicht nur vermittelt, sondern die Verhandlungen mit Sarrazin führt, sickert an die Medien durch und löst
neue Empörung aus. Für den Bundespräsidenten hingegen steht im
Vordergrund, dass die Affäre Sarrazin schnell abgeräumt wird und es
nicht zu einer juristischen Auseinandersetzung um die Entlassung
Sarrazins kommt. Wulff zieht die Verhandlungen um Sarrazins Ausscheiden aus dem Bundesbank Vorstand an sich. Die Kritik, er habe
damit eine Rolle eingenommen, die ihm nicht zustehe, berührt ihn
nicht. In gewisser Hinsicht handelt Wulff auch hier so, wie er es als
Ministerpräsident getan hätte. Für ihn steht das Ergebnis im Vordergrund, er will den Wirbel um Sarrazin beenden. Nicht zuletzt darum
geht es ihm auch am 3. Oktober 2010, als Wulff mit seiner Rede zum
Tag der deutschen Einheit die durch Sarrazins Buch entflammte, unselige Debatte über die Migranten in Deutschland in eine neue Richtung lenkt.
Ein neuer Stil im Bellevue
m Nachmittag des 11. Oktober startet ein Airbus der Luftwaffe mit dem Bundespräsidenten und seiner Frau Richtung
Moskau. Den Staatsbesuch in Russland hat Wulff von seinem
Vorgänger Horst Köhler „geerbt". Die Wulffs werden von einer großen
Delegation begleitet, darunter eine Wirtschaftsdelegation und acht
mitreisende Journalisten aus Berlin. Bis dahin hat Christian Wulff
eine Reihe von kurzen Antrittsbesuchen im benachbarten europäischen Ausland hinter sich gebracht, die Russlandreise ist jedoch die
erste große Reise des neuen Bundespräsidenten. Für die Berliner Medienvertreter ist sie die erste Möglichkeit, das neue Präsidentenpaar
einige Tage am Stück aus nächster Nähe zu beobachten. Die Wulffs
geben sich als „Präsidentenpaar zum Anfassen": Die gesamte Delegation und alle Medienvertreter werden an Bord der Regierungsmaschine kurz nach dem Start persönlich mit Handschlag begrüßt. Nachdem Wulffs Vorgänger Horst Köhler seine Kontakte zu den Medien
stets auf ein Mindestmaß beschränkt hat, sucht Christian Wulff den
Kontakt zu den Journalisten, ist aufgeschlossen und verbindlich im
Umgang. Der neue Bundespräsident gibt sich bodenständig, jovial
und zugewandt.
Das Programm der Reise ist eng gestrickt: Zunächst geht es zum
offiziellen Teil des Staatsbesuchs nach Moskau, anschließend in die
Provinz zu einem Besuch in Twer, der Partnerstadt von Wulffs Heimatort Osnabrück. Die nächste Station ist St. Petersburg und zum
Schluss macht der Präsident noch einen Abstecher nach Uljanowsk.
Besuche in der Provinz gehören zu einem „runden" Staatsbesuch dazu.
Auf allen Stationen der Reise sind zahlreiche Begegnungen mit verschiedensten Gesprächspartnern vorgesehen. Neben politischen Gesprächen im Kreml steht in Twer ein Besuch bei einem Frühwarnzentrum für Waldbrände an, das mit deutscher Unterstützung aufgebaut
worden ist. In Uljanowsk besucht der Bundespräsident eine Niederlassung von Fresenius. Wulff versteht sich als Bundespräsident nicht
zuletzt auch als Türöffner für die deutsche Wirtschaft im Ausland. Er hat immer eine große Wirtschaftsdelegation dabei, die meist ihr eigenes Programm hat, um die Besuche zur Kontaktpflege in den Gastländern zu nutzen. Wulff gilt als gut informiert und interessiert an
Details, häufig geht es auf seinen Reisen auch um die Lösung konkreter Probleme einzelner Branchen oder Unternehmen. Man kann Präsidentenreisen „gemütlicher" gestalten, als Christian Wulff das tut.
Doch Wulff sucht eine aktive Rolle, er will im Ausland etwas erreichen. „Er hat immer, auf allen seinen Reisen, das Maximum an Programm gemacht, was möglich war", erinnert sich ein Diplomat im
Auswärtigen Amt, der Wulff auf seinen Auslandsreisen begleitet hat.
In Moskau ist die gesamte Delegation im Ritz Carlton untergebracht, eine der Luxusherbergen in der Moskauer Innenstadt, nur einen Steinwurf entfernt vom Kreml. Gleichzeitig mit den Wulffs ist
Arnold Schwarzenegger aus Kalifornien zu Gast, zu diesem Zeitpunkt
noch Gouverneur des „Sunshine State" und mit einer Gruppe von
amerikanischen Investoren nach Moskau gereist. Man kennt und mag
sich: Im März 2009 hatte „Arni" die Computermesse CeBit in Hannover eröffnet, ein halbes Jahr später besuchte der niedersächsische
Ministerpräsident Wulff dann den Gouverneur Schwarzenegger in
Kalifornien. In Moskau kommt es zu einer weiteren Begegnung. Der
Bundespräsident muss zur Kenntnis nehmen, dass die Moskauer Medien den
Weitere Kostenlose Bücher