Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
zum 3. Oktober zu begegnen. Den
zentralen Satz des Anstoßes, „Der Islam gehört inzwischen auch zu
Deutschland", nimmt Wulff in Ankara wieder auf, indem er ihn auf
die Christen in der Türkei ummünzt: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zur Türkei", sagt der Bundespräsident zu den türkischen Parlamentariern, deshalb „erwarten wir, dass Christen in islamischen
Ländern das gleiche Recht haben, ihren Glauben öffentlich zu leben,
theologischen Nachwuchs auszubilden und Kirchen zu bauen."
Schließlich weist er der Türkei den Weg nach Europa: Die Türkei
könne zeigen, „dass Islam und Demokratie, Islam und Rechtsstaat,
Islam und Pluralismus kein Widerspruch sein müssen".
Die Situation der Christen in der Türkei ist ein zentrales Thema des
Besuchs. Neben der Rede vor dem türkischen Parlament bildet ein
Gottesdienst in Tarsus einen weiteren Höhepunkt der Türkeireise.
Hier ist der Apostel Paulus geboren, der Gottesdienst soll deutlich machen, wie sehr die Wurzeln des Christentums in Anatolien liegen,
wie sehr das Christentum zur Türkei gehört: Ein evangelischer und
ein katholischer Pfarrer nehmen teil, so wie die Bischöfe der Armenier, der syrisch-orthodoxen und des ökumenischen Patriarchats, und
der Gottesdienst wird auf Deutsch, Griechisch, Arabisch, Armenisch
und Aramäisch gehalten. Der Besuch in Tarsus soll die Aufmerksamkeit auf die Situation der Christen in der Türkei lenken, die sich vor
allem vollständige Rechtssicherheit wünschen, wie der evangelische
Pfarrer den mitgereisten Journalisten vor Ort sagt. Die Realität sieht
anders aus - sie ist von staatlicher Willkür geprägt. Das bezeugt auch
die Kirche, in der der Gottesdienst stattfindet: 1943 beschlagnahmt
der türkische Staat das Gotteshaus, seitdem ist die Kirche ein Museum.
Nach dem Gottesdienst verweist der Bundespräsident im Gespräch
mit türkischen Journalisten darauf, dass es in Deutschland muslimischen Religionsunterricht gebe und dass Imame ausgebildet würden:
„Das wünschen wir uns auch in der Türkei." Die Türken nehmen die
Kritik hin. „Man hat ihm überhaupt nichts übel genommen", erinnert
sich Hüseyin Karsioglu. „Von einem Freund und einem Menschen mit
ehrlicher Ausstrahlung nimmt man Kritik an und schätzt sie." In Tarsus hängen überall Plakate mit einem Bild des deutschen Präsidenten
und der Aufschrift „Willkommen Herr Bundespräsident". In den Medien wird Wulff "Das lächelnde Gesicht Deutschlands" genannt.
Teil des Erfolgs ist die persönliche Beziehung, die sich zwischen
Wulff und dem türkischen Präsidenten Abdullah Gül herausbildet. So
wie Wulff in seiner Rede zum 3. Oktober betont, er sei auch der Präsident der Muslime in Deutschland, bezeichnet sich Gül bei einem
gemeinsamen Auftritt mit Wulff auch als Präsident der Christen und
Juden in der Türkei. Der türkische Präsident nutzt den Besuch aus
Deutschland auch für ein mutiges Signal an das türkische Militär:
Zum ersten Mal überhaupt schreitet Gül die Ehrenformation nicht
alleine ab, sondern in Begleitung seiner Frau. Das in der Türkei sehr mächtige Militär hat sich lange dagegen gewehrt. Gül nutzt den Besuch des Bundespräsidenten und seiner Frau, um sich gegenüber dem
Militär durchzusetzen. Besonders wichtig ist Gül, dass das deutsche
Präsidentenpaar ihn in seine Heimatstadt Kayseri begleitet. Die Wulffs
fliegen mit dem türkischen Präsidenten in seiner Maschine in die aufstrebende Industriestadt in Kappadokien.
Ein Jahr später kommt Gül zu einem Gegenbesuch nach Deutschland. „Es war so, als wenn sich zwei alte Freunde treffen", charakterisiert Karsioglu das Zusammentreffen. Der Besuch hat viele persönliche
Momente: Zum Auftakt machen die Wulffs mit dem türkischen Präsidentenpaar eine Bootsfahrt auf dem Wannsee mit abschließendem
gemeinsamen Abendessen im kleinen Kreis. Anschließend entschließen sich die Präsidenten spontan, in ein türkisches Restaurant nach
Kreuzberg zu fahren, ein Albtraum für die Sicherheitskräfte und das
Protokoll, die nichts weniger schätzen als spontane Abweichungen vom
vereinbarten Programm. Am Ende trinken die Präsidentenpaare bei
„Hasir" in Kreuzberg gemeinsam Tee. Die Einladung in Güls Heimatstadt Kayseri erwidert Wulff, indem er den türkischen Präsidenten
nach Osnabrück mitnimmt. Bei einem gemeinsamen Mittagessen
stellt Wulff dem Gast aus der Türkei auch seine Tochter Annalena vor,
die ihn ein Jahr zuvor auf einer Reise
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