Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
der Bild-Zeitung erscheint, ist die Welt für Christian Wulff noch in Ordnung. Wulff sitzt im Glashof des Jüdischen Museums in Berlin. An
diesem Abend wird der Leo-Baeck-Preis verliehen, die Auszeichnung,
die der Zentralrat der Juden in jedem Jahr vergibt. Einige ehemalige
Preisträger sitzen im Publikum: die Schauspielerin Iris Berben, Friede
Springer und zahlreiche Vertreter von Politik, Wirtschaft und Kultur
und natürlich des jüdischen Lebens in Deutschland. Der Zentralrat
hat sich entschlossen, in diesem Jahr den amtierenden Bundespräsidenten auszuzeichnen. Das hat es auch früher schon gegeben, auch
Roman Herzog bekam den Leo-Baeck Preis, als er noch im Amt war,
aber erst gegen Ende seiner Amtszeit. Johannes Rau war ebenfalls
Preisträger, sogar schon, bevor er Bundespräsident wurde, und Richard
von Weizsäcker wurde geehrt, als er schon nicht mehr Staatsoberhaupt
war. Wulff ist erst seit anderthalb Jahren Bundespräsident und dennoch hat sich der Zentralrat entschieden, ihm den Preis zu verleihen.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, hält die Festrede und erzählt, dass Wulff ein wenig beschämt gewesen sei, als
er ihm den Preis angetragen habe. Das war noch ein halbes Jahr vorher,
im April 2011. Wulff habe damals erwidert: „Ist das nicht zu früh? Ich
habe doch noch gar nichts geleistet."
Die Juden sind anderer Ansicht und am Ende stimmt Wulff zu. „Sie
haben uns in Ihrer noch immer jungen Amtszeit schon jetzt wirklich
und nachhaltig beeindruckt", fährt Graumann mit seiner Laudatio
fort. Wer eine Zustimmungsrate von 80 Prozent habe, der müsse „wohl
doch einiges richtig machen". Auch die Juden in Deutschland fühlten
sich durch ihn „würdig und glaubwürdig repräsentiert". Graumann
kommt schließlich auf die Rede zum 3. Oktober 2010 zu sprechen, die
ja nicht jedem gleich und gleichermaßen gut gefallen habe, betont er
spitz. „Uns aber schon." Mit dem Satz „Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland" habe Wulff als „erster Mann im Staat" das ausgesprochen, worauf das Judentum in Deutschland fast 1.700 Jahre
lang gewartet habe. Dass Wulff in diesem Zusammenhang auch auf
die Muslime zugegangen sei, habe man „couragiert und eindrucksvoll"
gefunden. Auch für seinen Besuch in Israel lobt Graumann den Bundespräsidenten, der diesen sehr würdig gestaltet habe, „ganz ohne
spektakuläre Reden, aber mit viel Verständnis und Gefühl".
Fast ein Jahr vor der Verleihung des Leo-Baeck-Preises, am 27. November 2010, fliegt der Bundespräsident nach Israel. Es ist die erste
Reise, die er selbst initiiert hat, die er nicht von seinem Vorgänger
„geerbt" hat. Auch diesmal hat Wulff eine große Wirtschaftsdelegation
dabei. Indes fehlt Bettina Wulff, an ihrer Stelle hat der Bundespräsident
seine Tochter aus erster Ehe, die 17-jährige Annalena, mitgenommen.
Annalena geht in Osnabrück noch zur Schule, besucht dort die 12.
Klasse und hat freibekommen, um ihren Vater nach Israel zu begleiten.
Sie spielt eine zentrale Rolle bei der Israelreise ihres Vaters, sie ist sozusagen das Leitmotiv. Wulff möchte die Erinnerung an den Holocaust
und die besondere deutsche Verantwortung für Israel symbolisch an die nächste Generation weitergeben. Annalena „leitet" eine JugendDelegation mit acht Schülern, die die Präsidentenreise begleiten. Es
sind Schüler, die sich in besonderer Weise mit Israel oder dem Holocaust beschäftigt haben. Dabei steht die Präsidententochter erwartungsgemäß von Anfang an im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit.
Schon bei einem Empfang in der deutschen Botschaft am Abend nach
der Ankunft in Tel Aviv stellt sie sich den Fragen von Journalisten.
Am Tag darauf steht der Höhepunkt der Reise an: Der Bundespräsident besucht gemeinsam mit seiner Tochter und Israels Präsident
Shimon Peres die Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Man spürt, dass Annalena der Besuch nicht leichtfällt: Die intensive
Konfrontation mit dem Holocaust ist schon emotional genug, nun
steht sie in dieser Situation auch noch im Fokus des Medieninteresses.
Am Mahnmal für die ermordeten Kinder werden Namen verlesen.
Annalena steht hinter ihrem Vater, als Christian Wulff ins Gästebuch
schreibt: „Die unfassbaren Verbrechen der Schoa sind Deutschland
und den Deutschen eine dauernde Verpflichtung, für das Existenzrecht
Israels einzutreten." In der Halle der Erinnerung entstehen schließlich
die Fotos, die die zentrale
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