Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
konkurrieren zwei verschiedene Sichtweisen: Die einen sagen, wir müssen
jetzt liefern, die anderen raten dringend davon ab, tatsächlich alles
ins Netz zu stellen. Letztere fürchten, auf diese Weise einen endlosen
Strom immer neuer Nachfragen auszulösen und darin hoffnungslos
abzusaufen. Am 11. Januar 2012 gibt Wulffs Anwalt Gernot Lehr
deshalb bekannt, dass die Fragen und Antworten nicht im Internet
veröffentlicht werden. Zur Begründung werden rechtliche Bedenken
vorgeschoben: Eine Veröffentlichung „würde das Recht der jeweils
nachfragenden Journalistinnen und Journalisten am eigenen Wort
und an dem Schutz ihrer Rechercheergebnisse oder-ziele verletzen".
Lehr stellt deshalb nur eine mehrseitige Zusammenfassung der Ant worten zu den verschiedenen Vorwürfen, die gegen Wulff erhoben
werden, ins Netz. Zwar ist richtig, dass die Genehmigung der betroffenen Redaktionen eingeholt und die Persönlichkeitsrechte Dritter
geschützt werden müssten, grundsätzlich stünde einer Veröffentlichung aber nichts im Wege.
Für Aufsehen sorgt eine Wortmeldung, die im Laufe der Nacht vom
11. auf den 12. Januar 2012 per Twitter verbreitet wird und von keinem
Geringeren als dem CDU-Politiker Peter Altmaier kommt. Altmaier
hatte Wulff zu Beginn der Krise in mehreren Talkshows tapfer verteidigt, nun platzt ihm aber der Kragen: „Wünsche mir, dass Christian
seine Anwälte an die Leine legt und die Fragen/Antworten ins Netz
stellt." Am Tag zuvor hatte Altmaier dem Bellevue bereits über ein
Zeitungsinterview den gut gemeinten Ratschlag gegeben, dass es unglücklich wäre, „wenn der Eindruck entstünde, dass die Anwälte des
Bundespräsidenten jetzt hinter dem zurückblieben, was er selbst in
einem Fernsehinterview angekündigt hat". Bis dahin hatte vor allem
die Opposition von Wulff verlangt, seiner Ankündigung Taten folgen
zu lassen. Einige Verlage kündigen ihrerseits schnell an, dass sie mit
einer Veröffentlichung kein Problem hätten, womit der Schwarze Peter
gänzlich beim Bellevue ist. So erklärt die Bild-Zeitung öffentlich, dass
sie keine Einwände gegen eine Veröffentlichung habe. Die Welt stellt
ihre Fragen und die entsprechenden Antworten von sich aus ins Internet. Die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung erklären, dass
sie bereit seien, Wulffs Anwälte von ihrer Verschwiegenheitspflicht zu
entbinden, der Spiegel folgt. Der Stern hingegen ist nur bereit, einen
Teil seiner Fragen zu veröffentlichen. In Wahrheit jedoch ist die Sache
ungleich komplizierter.
Grundsätzlich ist es ein bislang einmaliger Vorgang, dass Medien
ihre Recherchen umfänglich offenlegen. Um dem Druck nachzugeben,
veröffentlicht Wulffs Anwalt Lehr schließlich am 18. Januar 2012, also
zwei Wochen nach der ersten Ankündigung im Fernsehen, zahlreiche Journalistenfragen mit den dazugehörigen Antworten im Internet -
insgesamt 239 DIN-A4-Seiten. Zu diesem Zeitpunkt erscheint das,
was einmal als Transparenz-Offensive gedacht war, nur noch als zähneknirschend gewährtes Zugeständnis an die Medien. Das Angebot
stößt in der Öffentlichkeit auf reges Interesse, in den ersten Tagen wird
die Seite weit über 100.000 Mal angeklickt. Nicht Journalisten gibt
die Veröffentlichung vor allem Aufschluss darüber, wie detailliert gefragt wird und wie das ständige Hin und Her zwischen Fragenden und
Antwortenden funktioniert. Lehr versucht mithilfe einer ausführlichen
Erklärung deutlich zu machen, dass die Klärung der juristischen Einzelheiten tatsächlich alles andere als simpel war. So musste in jedem
Einzelfall die Freigabe der jeweiligen Redaktion eingeholt und geklärt
werden, ob die Persönlichkeitsrechte Dritter betroffen sind. Die Kontaktdaten der Fragenden, wie E-Mail-Adressen oder Telefonnummern,
wurden geschwärzt. Zehn Tage lang wurden deshalb im Anwaltsbüro
Sonderschichten geschoben.
Außerdem stellt sich heraus, dass einige Verlage, die zunächst forsch
erklärt hatten, alle ihre Recherchen freizugeben, dann doch zurückruderten. So erteilten nur einige Medien eine pauschale Freigabe für
alle ihre Fragen und Antworten, darunter Bild und alle weiteren Zeitungen des Springer-Verlags, die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, der
NDR und das ZDF. Vier Zeitungen der DuMont-Gruppe hätten „eine
weitreichende, aber thematisch eingeschränkte Zustimmungserklärung abgegeben", heißt es in der Erklärung des Anwalts, darunter die
Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung, die
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