Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Wochen der Krise. Doch
nicht nur der Kontakt zu Merkel ist wichtig, sondern auch das unmittelbare Umfeld der Kanzlerin spielt eine Rolle: an erster Stelle Beate
Baumann, Merkels langjährige Büroleiterin. Wulff und Baumann
kommen beide aus Osnabrück und kennen sich seit ihrer Jugend. Beide waren in ihrer Heimatstadt in die CDU und die Junge Union
eingetreten, wo sie schließlich zusammen im Landesvorstand saßen. In den 1990er-Jahren schließlich empfahl Wulff Beate Baumann als
Referentin an die junge Bundesfamilienministerin Angela Merkel.
Baumann wurde Merkels engste Mitarbeiterin und schließlich Büroleiterin der Bundeskanzlerin. Die Unterstützung durch das Kanzleramt ist essenziell für Wulff. Sie hält bis zum Schluss an, denn Merkel
hat an einer erneuten Präsidentenwahl so kurz nach dem Rücktritt von
Horst Köhler kein Interesse.
Die Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger von der Universität Mainz und Bernhard Pörksen von der Universität Tübingen
sind Experten für die Erforschung von Skandalen. Während Kepplinger die Skandalisierung der Vorwürfe gegen Wulff durch die Medien
unverhältnismäßig findet, hält Pörksen sie für legitim. Beide stimmen
jedoch darin überein, dass das Krisenmanagement des Bundespräsidenten vor allem am Anfang der Krise schwerwiegende Fehler aufweist. „Der Kardinalfehler war, dass er nicht von Anfang an alles auf
den Tisch gelegt hat", stellt Pörksen im Oktober 2012 fest. Zu Recht
hätten die Medien dem Bundespräsidenten vorgeworfen, auf eine „Salamitaktik" zu setzen. „Das hat noch nie besonders gut funktioniert.
Unter den Geschwindigkeitsbedingungen des digitalen Zeitalters ist
sie gänzlich dysfunktional geworden", sagt Pörksen. Der Tübinger
Medienwissenschaftler vermutet, dass Wulff grundsätzlich geglaubt
hat, die Medien steuern zu können. „Bei Christian Wulff beobachtet
man eine merkwürdige Kontrollillusion den Medien gegenüber. Nur
so sind viele Ad-hoc-Aktionen erklärbar, beispielsweise der Anruf bei
Kai Diekmann." Auch die Entscheidung Anfang Dezember 2011, den
Privatkredit gegenüber Bild und Stern offenzulegen, aber unter der
Bedingung, dass die Informationen nicht verwendet werden dürfen,
erweckt diesen Eindruck. Auch Kepplinger sieht die entscheidenden
Fehler im Krisenmanagement des Bundespräsidenten ganz am Anfang, letztlich sogar schon im Februar 2010, als Wulff dem Landtag
gegenüber seinen Privatkredit verschwieg: „Der Fehler war, dass er nicht von Anfang an alle oder möglichst viele Karten auf den Tisch
gelegt hat. Er hätte im Landtag mit einer rührseligen Erklärung zu
seiner neuen Liebe und zu seiner natürlichen Verpflichtung gegenüber
seiner Frau das Problem beseitigen können." Wie häufig bei Skandalen
erweisen sich letztlich nicht die Missstände an sich als das größere
Problem, sondern der Umgang damit.
Im Laufe der Krise sieht das Beraterteam des Bundespräsidenten
rückblickend vor allem zwei schwere Fehler im Krisenmanagement, zu
denen es bereits am Anfang kommt. Der erste Fehler wird gemacht, als
Wulff mit einer Presseerklärung am 15. Dezember 2011 seine Hausfinanzierung transparent machen will. Ziel ist, alle Karten auf den
Tisch zu legen, um mit der Erklärung die Luft aus der Angelegenheit
zu lassen. Gleichzeitig wird die Erklärung durch die Offenlegung der
Kreditverträge für alle Medien in der Anwaltskanzlei flankiert. Ein
wichtiges Detail wird jedoch verschwiegen: Bei der Darstellung der
Abläufe fehlt die Information, dass Egon Geerkens an der Aushandlung
und Abwicklung des Privatkredits zwischen seiner Frau und Christian
Wulff maßgeblich beteiligt war. Die Entscheidung, den Medien diese
Information zu verschweigen, erweist sich als schwerer Fehler. Als die
Medien recherchieren, welche Rolle Egon Geerkens bei dem Kreditgeschäft zwischen seiner Frau und Wulff gespielt hat, sieht die gesamte
Darstellung rund um den Privatkredit schlagartig wie ein Täuschungsmanöver aus und erschüttert Wulffs Glaubwürdigkeit massiv.
Ein zweiter großer Fehler im Krisenmanagement ist der wohl eigentlich schwerwiegendste. Am 18. Dezember 2011 macht Wulff eine Liste mit sechs Urlauben öffentlich, die er als Ministerpräsident bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Innerhalb des Beraterteams
gingen die Meinungen auseinander, ob man tatsächlich alle Urlaube
offenlegen und sich damit angreifbar machen soll. Doch der Vorschlag
setzt sich durch, nicht darauf zu
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