Der Boss
Scheise.«
Anmerkung
Endlich ist mein Vater bereit, sich ins Gespräch einzubringen:
»Das sehe ich anders. Ein Beweis ist im kritischen Dialog eine unverzichtbare …«
Bevor es zu einer emotionalen Katastrophe kommt, versuche ich, meinen Vater in die richtige Spur zu bringen:
»Rigobert, vor den drei Koteletts und den fünf Frikadellen wolltest du doch etwas sagen …«
»Ah ja, richtig. Tja, also, äh, was die Planung der … des … äh …«
Mein Vater versucht krampfhaft, das Wort »Hochzeit« zu vermeiden, damit es weniger spießig klingt.
»Also was die Planung des … Treueschwurzeremoniells betrifft … Die Familien sind ja bereits informiert. Aber, äh, ich denke, wir sollten jetzt die exakte Anzahl der Gäste festlegen. Damit wir wissen, wie viele Einladungen wir drucken müssen.«
Frau Denizo ğ lu strahlt:
»Keine Sorge – wir habe schon gedruckt.«
Jetzt bin ich verblüfft:
»Schon gedruckt???«
Ich durchforste schnell meine Erinnerungen. Wenn ich nicht unter einem spontanen Anfall von Amnesie leide, habe ich noch nicht mal einen Entwurf gesehen. Frau Denizo ğ lu lächelt stolz.
»Ja, schon gedruckt. Ist unsere Überraschung für heute.«
Sie greift in eine Schublade und überreicht meinem Vater eine mit geschwungenem Goldrahmen versehene Einladungskarte, in deren Mitte zwei große goldene Herzen prangen, das eine mit einem geschnörkelten A, das andere mit D. Der Raum zwischen Herzen und Rahmen wird von roten, rosafarbenen und weißen Rosen ausgefüllt. Alle grafischen Elemente kommen dem Betrachter reliefartig aus dem Karton entgegen. Die stufenweise Desensibilisierung meiner Eltern gegen Extremkitsch zeigt erste Erfolge: In ihren Gesichtern ist zwar noch Abneigung zu erkennen, aber kein Ekel mehr.
Ich spüre, dass ich ein wenig enttäuscht bin. Ich wollte als Einladung vier Versionen eines Fotos von Aylin und mir in Antalya anfertigen lassen, im Stil von Picasso, Monet, van Gogh und Warhol. Aber gut, goldene Herzen mit geschnörkelten Buchstaben sind natürlich auch … äh … also, wenn man es mit einem ironischen Augenzwinkern sieht … tja.
Ich schaue Aylin an, die entschuldigend mit den Schultern zuckt und mich dann so lange lieb anlächelt, bis mir egal ist, dass sich meine Hochzeitseinladung auf dem gleichen ästhetischen Level befindet wie das Kostüm von Florian Silbereisen beim Winterfest der Volksmusik.
Mein Vater klappt die Karte auf. Die goldene Schnörkelschrift ist in eine gemalte Papierrolle gedruckt, die von zwei weiß-goldenen Tauben getragen wird:
Aylin’in ve Daniel’in dü ğ ününe davet ediyoruz:
31. Ocak
Rathaus Köln, Saat 10: 00
Serkan Dü ğ ün Salonu, Industriestraße 23
50137 Leverkusen, Saat: 18: 00
Ich muss kurz schlucken. Obwohl ich wusste, dass wir im Hochzeitssalon von Aylins Onkel Serkan heiraten, erschreckt mich plötzlich das Wort »Leverkusen«. Das hat auf einer Hochzeitseinladung eigentlich nichts zu suchen. Ein Ereignis kann entweder romantisch sein oder in Leverkusen stattfinden. Außerdem: Ich bin Kölner. Da könnte ich einen Mann heiraten – das wäre ganz normal. Aber eine Party in Leverkusen, das geht gar nicht.
Mein Vater wendet die Karte: Die Rückseite ist leer. Er ist verblüfft:
»Das ist auf Türkisch.«
Herr Denizo ğ lu schmeißt gerade ein weiteres Aspirin in sein Wasserglas:
»Ja, weil kommen viele Gäste und Verwandte auch aus Türkei und sprechen keine Deutsch.«
»Aber die deutschen Gäste sprechen auch kein Türkisch.«
»Ja. Aber ist nicht so kompliziert.«
»Ocak heißt Januar?«
»Ja.«
»Und woher sollen unsere Gäste wissen, dass es nicht Oktober heißt?«
»Hmmm …«
»Oder Februar oder März …«
Aylin zuckt wieder entschuldigend mit den Schultern, lächelt mich an und massiert mit ihrem Fuß meine Wade.
»… oder April oder Mai oder …«
Ich habe das Gefühl, meinen Vater aus seiner rhetorischen Schleife befreien zu müssen:
»Rigobert, ich glaube, der Punkt, dass wir Deutschen die Bedeutung von ›Ocak‹ nicht kennen, ist so weit klar geworden.«
Mein Vater schaut hilflos zwischen mir, meiner Mutter und Herrn Denizo ğ lu hin und her. Herr Denizo ğ lu kratzt sich am Kopf:
»Vielleicht, man kann schreiben ›Januar‹ daneben.«
Mein Vater ist erleichtert:
»Ah, sehr gut. Das ist also nur ein Probedruck, den man noch ändern kann.«
»Nein, ich meine: schreiben mit Hand. Weil ist schon alles fertig gedruckt.«
In diesem Moment trägt Aylins Bruder Cem
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