Der Boss
vibriert. Das Display zeigt den Namen Rüdiger Kleinmüller – mein ehemaliger Chef und Leiter der Werbeagentur Creative Brains Unit. Ich habe vor vier Monaten gekündigt und lebe seitdem von meinen Ersparnissen. Die Werbebranche ist eine kranke, zynische Welt voller Arschlöcher, für die das Anhäufen von Geld auf Kosten der Menschenwürde zum Lebenszweck geworden ist, und ich will damit nichts mehr zu tun haben. Trotzdem gehe ich natürlich ran. Nur aus Neugier.
»Ja?!«
»Hey, Daniel, lange nichts gehört! Du, ich spar mir jetzt das ganze Wie-geht’s-dir-und-was-machst-du-so-Gequatsche und komme directly to the point: Hast du morgen Zeit?«
»Nein, ich heirate morgen.«
»Oh, okay. Und wann?«
»Um zehn.«
»Perfekt. Die Besprechung ist nämlich um zwölf.«
»Welche Besprechung?«
»Mit Süffels Kölsch. Soll eine Mega-Campaign werden.«
»Interessant. Aber wie gesagt, ich heirate morgen.«
»Kein Problem. Dauert bestimmt nicht lange, vielleicht so ein bis zwei Stunden. Höchstens drei. Ich will dich unbedingt wieder into the boat holen.«
»Herr Kleinmüller, ich werde ganz bestimmt nicht am Tag meiner Hochzeit mit Ihnen und irgendeinem Typ von Süffels Kölsch darüber diskutieren, ob man lieber ›echt kölsch‹, ›typisch kölsch‹ oder ›echt typisch kölsch‹ aufs Plakat schreibt.«
»Echt typisch kölsch – das ist gut. Den hatten wir noch nicht. Siehst du, das ist genau der Brain-Input, den ich brauche. Du bist einfach ein Creative Genius, Daniel.«
Ich hasse schleimige englische Werbefuzzi-Schmeicheleien. Und noch mehr hasse ich, dass ich mich durch schleimige englische Werbefuzzi-Schmeicheleien gebauchpinselt fühle.
Aus dem Sicherheitsbereich kommt jetzt ein älterer Türke, zu dem die Beschreibung von Onkel Abdullah passt, aber der wird von einer gut zehnköpfigen Familie mit lautem Gejohle und Kreischen in Empfang genommen.
»Herr … äh … Kleinmüller. Das freut mich ehrlich, dass Sie mich zu schätzen wissen. Aber ich möchte mit der Werbebranche nichts mehr zu tun haben. Ich passe da nicht rein.«
»Du, ich verstehe das total gut, honestly. Die Werbebranche geht mir auch total auf den Zeiger.«
»Wirklich?«
»Ja, ich hatte ein Burn-out im November – ohne Koks hätte ich sogar den Dr. - Oetker - Deal verloren. Als die Scheiße gerockt war, musste ich zwei Wochen in Kur, und da ist mir klar geworden, dass im Leben eigentlich nur eins zählt: die Liebe.«
Ich lache kurz, weil sich dieser Satz etwas seltsam anhört aus dem Mund eines skrupellosen Turbo-Kapitalisten:
»Die Liebe?!«
»Ja, Daniel, die Liebe. Ich habe in der Kur ein Buch vom DalaiLama gelesen, du, ich habe Rotz und Wasser geheult, und jetzt lebe ich quasi nur noch für meine seelische Entwicklung. Also zumindest privat. Die Berufswelt ist voller Arschlöcher, die jede Schwäche von dir gnadenlos ausnutzen.«
Jetzt kommen zwei ältere Türken aus dem Sicherheitsbereich. Der eine hat eine Frau dabei, der zweite ist zu dunkel für einen Schwarzmeer-Türken, also kann keiner Onkel Abdullah sein. Die automatische Tür öffnet sich erneut, und ein älterer Herr schiebt einen Wagen mit sechs großen Koffern nach draußen. Er trägt nur einen Kinnbart, aber keinen Schnäuzer; dafür sprießen die Haare so üppig aus seinen Nasenlöchern, dass man Zöpfchen daraus flechten könnte. Ist er Onkel Abdullah? Nein, er trägt einen Fenerbah ç e-Trainingsanzug. Ich erschrecke leicht, als ich wieder Rüdiger Kleinmüllers Stimme höre:
»Und wenn ich sage: Ich begrenze die Besprechung auf eine Stunde …?!«
»Herr Kleinmüller …«
»Sag Rüdiger. Wir sind jetzt ein Team auf Augenhöhe.«
»Rüdiger, ich werde nicht kommen. Nicht morgen und auch an keinem anderen Tag.«
Ich bin von mir selbst begeistert. Selten habe ich meine Position so klar und kompromisslos vertreten. Und es gibt nichts, das er sagen kann, um mich zu erweichen.
»Okay, Daniel. Morgen heiratest du. Kein Problem. Aber danach … ich wollte dich eigentlich zum Chef der Kreativabteilung machen.«
»Chef?«
»Chef.«
»Also, äh, Chef im Sinne von …«
»Chef.«
»Oh. Okay …«
»Mit eigener Praktikantin.«
»Oh. Okay.«
»Und Chefgehalt.«
»Oh. Okay …«
»Deal?«
»Deal.«
»Also kommst du morgen?!«
»Ich heirate morgen.«
»War nur ein Versuch. See you on Monday.«
Rüdiger Kleinmüller legt auf. Mir dröhnt der Kopf. Ich habe gerade meiner Rückkehr in die Werbebranche zugestimmt. Ist ein
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