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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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hohem Bambus-Anteil für streifenfreien Glanz polieren zu können, befreite mich nicht aus meiner trüben Stimmung.
    Um Viertel nach sechs war mein Alkoholpegel dramatisch gesunken, und ich hatte Hunger. Ich checkte aus und wartete dann zehnMinuten vor der Bäckerei Merzenich in der Hohe Straße. Als sie um halb sieben öffnete, begrüßte mich eine Frau um die sechzig mit einer Kombination aus penetrant guter Laune und einer Reibeisen-Stimme, die selbst Bonnie Tyler vor Neid erblassen ließe:
    »Einen wunderschönen juten Morjen, der Herr – wat darf et sein? Lecker Käffchen?«
    Jede Pore in meinem Gesicht muss der Frau gezeigt haben, dass es mir beschissen ging – da gehört schon eine große Portion Ignoranz dazu, von einem wunderschönen guten Morgen zu sprechen. In solchen Momenten habe ich das Gefühl, dass sich die berühmte kölsche Toleranz an der Grenze zur Gleichgültigkeit bewegt, nach dem Motto: »Mir doch egal, aus welchem Land der kommt. Für Ausländerfeindlichkeit fehlt mir einfach die Zeit.«
    Als mich die Bäckereifachverkäuferin immer noch anstrahlte, nachdem ich ihr einen Ich-hasse-gute-Laune-Blick geschickt hatte, verspürte ich das spontane Bedürfnis, nach Berlin zu fahren. Berliner sind prinzipiell erst mal unfreundlich und scheiße drauf – also der perfekte Ort für meine gegenwärtige Stimmung. Um 7 Uhr 47 habe ich die Fahrkarte für den ICE gekauft, der um 7 Uhr 48 losfährt, bin dann in aller Ruhe zu Gleis 1 geschlendert, um dann festzustellen, dass eine Minute gar nicht mal soooo viel Zeit ist. Ich legte meine neue persönliche Bestzeit über 200 Meter hin und erwischte die letzte noch geöffnete Zugtür. Der Schaffner wartete mürrisch und begrüßte mich mit Berliner Akzent:
    »Det is wegen Leute wie Sie, det wir zu spät kommen. Und dann heißt det wieder: die blöde Bahn. Da sag ick immer: Wenn wir nur halb so bescheuert wären wie unsere Kunden, dann lief hier gar nüscht mehr.«
    Miesdraufsein in Reinkultur. Ich hätte ihn abknutschen können.
    Es ist 11 Uhr 01 und wir sind in Wolfsburg. Ich schalte mein Handy ein – vielleicht will Aylin mich ja erreichen, um … ja, warum eigentlich? Drei neue Nachrichten. Ich wähle die Mailbox an und höre die Stimme meiner Mutter:
    »Daniel, ich versuche seit einer Stunde, dich zu erreichen. Wo bist du? Zu Hause bist du nicht, da hab ich’s schon probiert. Oderbist du nicht drangegangen? Also, als ob es nicht schlimm genug war, dass du die Aufführung verlassen hast – dann bläst du auch noch die Hochzeit ab … Du, die Premiere wurde noch besser, nachdem du weg warst, da hast du was verpasst: Ingeborg hatte am Ende Sex mit Romeo im Blut ihrer eigenen Familien, während Hunderte Kreuze von der Decke regneten und vorne ein Zwerg Texte von Elfriede Jelinek in ein Megafon gebrüllt hat – das war eine unglaubliche Szene, also ich hatte eine Gänsehaut. Aber das ist ja jetzt alles furchtbar unwichtig. Ich meine, was ist denn passiert? Aylin war ja völlig aufgelöst. Angeblich hast du irgendwas gegen türkische Familienstrukturen gesagt. Also, Daniel, man kann eine Hochzeit abblasen, keine Frage, aber doch nicht aus rassistischen Motiven! Ehrlich, ich verstehe dich nicht – hast du denn gar nichts aus der Geschichte gelernt? Wenn sie dich mit Ehrenmord bedroht hätten oder Zwangsbeschneidung – dann hätte ich verstanden, dass du dich von der Kultur distanzierst, aber … Na ja, ich meine, es geht mich zwar nichts an, aber du musst mir alles erzählen. Jedes Detail. Jede Kleinigkeit. Ich will dich ja verstehen, aber ich verstehe dich einfach nicht. Ich bin doch deine Mutter, mit mir kannst du doch reden. Ich … Du weißt ja, dass ich dich lieb habe, das muss ich ja nicht sagen. Also ruf mich an. Oh, da kommt Dimiter. Ich muss ihm gratulieren. Dimiter, es-war-sooooooooo-toll …«
    Die zweite Nachricht ist von meinem Vater:
    »Mein Sohn, ich wollte dir nur Folgendes sagen: Also, was die Hochzeit betrifft, äh … hmmm … also … nun … Tja. Du weißt ja, ich rede nicht so gerne mit einer Maschine … Tja.«
    Die dritte Nachricht ist von Mark:
    »Hallo, Daniel? Also, ich bin hier am Rathaus, und ihr seid nicht da. Es ist fünf vor elf. Da müsstet ihr doch eigentlich …«
    Wie immer, wenn Mark emotional wird, wechselt er zur Stimme von Udo Lindenberg:
    »Ich hoffe, es ist nichts panikmäßig Schlimmes passiert … dübndüdüüü … Also ruf mich an … Dein Jacques Gelee.«
    Während ich Mark eine Antwort-

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