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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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SMS als Votan Wahnwitz schreibe, döse ich ein – und wache erst am Berliner Hauptbahnhof wieder auf.
    13 Grad – fast frühlingshafte Temperaturen Anfang Februar, dazu Sonne satt. Ist das schon der Klimawandel, oder will mir das Schicksal einfach kein Wetter gönnen, das zu meiner trüben Stimmung passt? Auf dem Weg durch den gigantischen neuen Hauptstadt-Hauptbahnhof (quasi ein eigenes Stadtviertel) erreicht mich ein Anruf von Rüdiger Kleinmüller:
    »Du, Daniel, ich hatte gerade eine Phone-Conference mit Jupp Süffels, der will unbedingt, dass sein Sohn morgen im Frühstücksfernsehen eine Süffels-Kölsch-Schirmmütze trägt. Kannst du das gerade mal von deinem SAT. 1-Kontaktmann greenlighten lassen? Falls der dafür Kohle will, ruf mich noch mal an.«
    »Tja, also …«
    »Und übrigens Glückwunsch zur Hochzeit. Alles super, nehme ich an?!«
    »Nein.«
    »Gut, dann halt die Ohren steif, und … Was?«
    »Lange Geschichte. Auf jeden Fall …«
    Plötzlich habe ich eine Idee.
    »… also, die Hochzeit ist abgesagt, dafür bin ich sofort nach Berlin gefahren, um morgen früh bei Ralf Süffels zu sein. Die Reisekosten übernimmt doch die Creative Brains Unit ?«
    »Klar. Und wegen der Hochzeit, mach dir keinen Kopf. Shit happens. Wenn du meinen Rat willst: Such dir eine Nutte und lass dich ein bisschen verwöhnen – dann kommst du gar nicht erst ins Grübeln.«
    Ob er das auch im Buch vom Dalai Lama gelesen hat, wage ich zu bezweifeln. Als ich das Gespräch beende, glaube ich für einen kurzen Moment, im Büro meines Chefs blökende Schafe zu hören. Für fast eine Minute bin ich euphorisch, weil mein Spontan-Trip plötzlich einen Grund bekommen hat, dann kehrt die Trübsal zurück. Bernd Banane ist zur Sinnstiftung grundsätzlich ungeeignet. Außerdem habe ich noch 18 Stunden Berlin vor mir, ehe ich dem Karrierestart der neuen Hip-Hop-Legende beiwohnen darf.
    Da ich ohne Gepäck gereist bin, spaziere ich einfach drauflos. Während ich die Spree überquere, rufe ich meinen SAT. 1-Kontaktmann an. Es hat in der Geschichte menschlicher Diskurseschon anspruchsvollere Themen gegeben als den Preis für das Tragen einer Süffels-Kölsch-Schirmmütze im Frühstücksfernsehen. Fünf Minuten später, vor dem Reichstag, merke ich, dass mein Gehirn seit mindestens fünf Minuten das Lied Pizza wundaba von den Höhnern in einer Endlos-Schleife abspielt. Das darf doch nicht wahr sein: Ich fahre nach Berlin, um vor der kölschen Fröhlichkeit zu flüchten – und in meinem Hypothalamus findet eine imaginäre Karnevalssitzung statt.
    Als ich etwa 100 Meter vor dem Reichstag stehe und die gelungene Glaskuppel bewundere, empfinde ich eine gewisse Diskrepanz zwischen der Erhabenheit des Ortes und dem Refrain »O lala, willst du eine Pizza, O lala, Pizza wundaba – lalalalalalalalalala«, der sich gerade zum 250. Mal in meinem Kopf wiederholt.
    Irgendjemand hat mir mal erzählt, das Lied Thank you for the Music von Abba würde lästige Ohrwürmer neutralisieren. Also summe ich leise »Thank you for the Music« vor mich hin, und tatsächlich: Die Höhner sind innerhalb von zwei Minuten aus meinem Kopf verschwunden. Jetzt spukt dort zwar »Thank you for the Music«, aber im Vergleich zu den Höhnern ist das geradezu ein Trauermarsch. Passenderweise laufe ich wenig später am Holocaust-Mahnmal vorbei, das perfekt zu meiner momentanen Stimmung passt, quasi die deutsche Top-Location für Trauerarbeit. Aber ich bin natürlich politisch viel zu korrekt, um das Gedenken an die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte für die Verarbeitung privater Probleme zu instrumentalisieren, also gehe ich weiter. Dabei sehe ich auf einer der fast 3000 Stelen einen Fenerbah ç e-Sticker kleben. Offensichtlich das Werk eines türkischen Fußball-Fans mit entspanntem Verhältnis zur deutschen Vergangenheit. Ich bin empört: Ein Trabzonspor-Sticker am Holocaust-Mahnmal wäre ja schon unpassend, aber Fenerbah ç e – das geht gar nicht. Ich reiße den Sticker ab und freue mich, in doppelter Hinsicht eine gute Tat vollbracht zu haben.
    Zufrieden spaziere ich weiter. Vielleicht soll ich heute nicht trauern. Vielleicht sollte ich mich einfach amüsieren. Also steuere ich den Potsdamer Platz an, dieses Mini-Manhattan im ehemaligen Niemandsland, und stelle zu meiner großen Freude fest, dass das CinemaxX-Kino in einer Viertelstunde Ice Age 3 in 3-D zeigt.Ich kaufe mir ein Ticket sowie einen großen Eimer Popcorn. Das gönne ich mir jetzt. So.
    Es ist

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