Der Boss
ein interessanter Effekt, wenn man Ice Age 3 am Tag seiner geplatzten Hochzeit ansieht: Plötzlich stellt man fest, dass es sich gar nicht, wie man bisher immer dachte, um einen witzig-harmlosen Unterhaltungsfilm handelt. Nein, die Geschichte des Faultiers Sid, das so gerne in die Tyrannosaurus-Rex-Familie aufgenommen werden will, ist … sooooooooooo traurig!
Die kulturellen Unterschiede zwischen Faultieren und Tyrannosauriern sind am Ende zu groß, und Sid muss sich von seinen Kaltblüter-Freunden trennen. In diesem Moment schluchze ich laut los, und die gut 100 gackernden Kinder im Publikum schauen mich ebenso entgeistert an wie ihre erwachsenen Begleiter. Im Gegensatz zu Dimiter Zilnik erkenne ich zwar keine Verbindung zu den Balkankriegen, aber zum ersten Mal in meinem Leben verstehe ich, was in Ingeborg Trutz vorgeht. Als ich feststelle, dass mit verheulten Augen der 3-D-Effekt verloren geht, verlasse ich das Kino.
Bin ich ein Faultier, das in eine Dinosaurier-Familie wollte? War das unser Problem – dass wir zu verschieden sind? Irgendwie zieht es mich nach Kreuzberg. Ich brauche eine Antwort. Ich fahre mit der U-Bahn zum Halleschen Tor, gehe am Landwehrkanal entlang in Richtung Prinzenstraße. Der Weg schlängelt sich am Carl-Herz-Ufer entlang, wo sich Trauerweiden im Wasser spiegeln. Na bitte – Trauerweiden sind doch mal eine dem heutigen Tag angemessene Pflanzenart. Nur die fröhlich zwitschernden Spatzen stören ein wenig.
Ich erreiche den Urban-Hafen, wo einige Restaurant-Schiffe auf Kunden warten, und bald darauf beginnt der Orient: Türkische Geschäfte und Restaurants reihen sich aneinander – in einer der Straßen ist das einzig Deutsche ein Tempo-30-Schild; und selbst da wurde die Drei mit Edding zu einer Acht umgemalt.
Ich betrete das »Hadigari Grillhaus« und bestelle mir eine Portion Manisa Kebap – mein türkisches Lieblingsfleischgericht. Verdammt noch mal, ich liebe doch die türkische Kultur – was ist denn passiert?
Am Nachbartisch beobachte ich eine junge Frau, die mit ihremVater darüber diskutiert, ob sie morgen in die Disco darf. Welche deutsche Zwanzigjährige würde ihren Vater deswegen um Erlaubnis bitten? Ein deutscher Vater ist ja schon froh, wenn seine 14-jährige Tochter wenigstens Kondome mitnimmt.
Als der Vater nicht direkt Ja sagt, setzt die junge Türkin einen Schmollmund ein, der zwar nicht ganz an Aylins heranreicht, bei ihrem Vater aber die entsprechende Wirkung erzielt: Nach einem lang gezogenen Seufzer, mehreren ›Allah, Allahs‹ und genervten Blicken zur Decke gibt er schließlich seine Erlaubnis. Zum Dank wird er auf die Wange geküsst – und schon ist seine Tochter auf die Straße verschwunden. Ich wende mich dem Vater zu:
»Entschuldigung, wenn Ihre Tochter einen deutschen Freund hätte, was würden Sie von ihm erwarten?«
Der Mann schaut mich kurz irritiert an, dann lässt er einen Seufzer vernehmen. Dann noch einen. Und noch einen. Und noch einen. Offenbar bereitet ihm allein die Vorstellung, seine Tochter könnte einen deutschen Freund haben, körperliche Probleme. Schließlich lässt er einen weiteren Stoßseufzer nahtlos in einen Satz übergehen:
»Ich würde erwarten, dass meine Tochter keine Beziehung mit einem deutschen Mann anfängt. Das funktioniert nicht. Deutsche haben kein Verständnis für die Familie.«
»Wie meinen Sie das?«
»Allein schon die Altersvorsorge … Ein türkischer Schwiegersohn nimmt uns nach Hause und pflegt uns. Ein deutscher Schwiegersohn schickt uns in Altenheim, und wir müssen selbst bezahlen.«
Zwei Stunden später laufe ich wütend durch Ostberlin. Wütend darauf, dass ich keine Lösung sehe. Warum gibt Aylin denn keine Pressekonferenz wie Julia Roberts am Ende von Notting Hill ? Da könnte ich dann in letzter Sekunde auftauchen, sagen, dass ich ein Idiot war, und alles wäre wieder gut. Aber war ich denn überhaupt ein Idiot?
Auf dem Alexanderplatz haben sich drei Peruaner aufgebaut und geben mit der Panflöte Metallicas Nothing else matters zum Besten – was ich noch um 0,2 Zlatko peinlicher finde als die Panflötenversion von Wind of Change . Ist denn eigentlich gar nichts mehr vor der Panflöte sicher? Das ist doch grauenhaft – dieses Instrument zerlegt jedes noch so schöne Lied in seine Einzelteile, es bleibt nichts anderes übrig als ein hässlicher Klangbrei, und dann kann man Metallica nicht mehr von DJ Bobo unterscheiden … Was kommt demnächst? Die Schlacht von Stalingrad auf der
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