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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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Panflöte nachgeblasen? Bin Ladens schönste Terrorbotschaften – jetzt ganz romantisch zum Schwelgen?
    Wut steigt in mir hoch. Ich habe Neonazis, Atomkraftwerke und DSDS kommentarlos hingenommen, weil ich dachte: Okay, es gibt das Böse auf der Welt. Ich kann keine Umweltkatastrophen verhindern und auch keine Kriege. Aber irgendwann ist Feierabend – Nothing else matters auf der Panflöte, das geht zu weit. Ich muss handeln. Ich werfe den Peruanern verächtlich zehn Euro zu, nehme mir eine CD , schmettere sie zu Boden, springe mehrfach drauf und trete dann die Einzelteile in Richtung Fernsehturm.
    Jaaaaaaaa, das hat gutgetan! Hahahaaaaaaa! Daniel Hagenberger lebt! Daniel Hagenberger leistet zivilen Widerstand! Daniel Hagenberger lässt nicht mehr alles mit sich machen! Daniel Hagenberger ist wieder daaaaaaaaa!
    In diesem Moment wird mir schmerzhaft bewusst, dass die Peruaner immer noch Nothing else matters spielen. Und dass ich gerade zehn Euro für eine Panflöten- CD ausgegeben habe. Und dass mich die drei indianisch anmutenden Herren mit den IKEA – Teppichen auf den Schultern jetzt wohl für geistesgestört halten. Und dass sie wahrscheinlich recht haben.
    Die Peruaner spielen den letzten Ton, und ich verspüre den unwiderstehlichen Drang, mich zu entschuldigen:
    »Äh, tut mir leid, ich bin gerade mies drauf. Wissen Sie, ich wollte heute eigentlich heiraten, aber wir haben uns getrennt, Aylin und ich. Und es könnte sein, dass ich die Trauer und die Wut, die ich deshalb empfinde, fälschlicherweise auf Sie projiziert habe.«
    Die Peruaner schauen mich ausdruckslos an. Ich hasse peinliche Gesprächspausen, also rede ich weiter:
    »Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich halte es für ein geschmackliches Verbrechen, Metallica auf der Panflöte nachzublasen. Aber das hier ist Deutschland, und ein jeder hat das Recht, schlechte Kunst zu produzieren. Gucken Sie sich mal in Köln Romeo und Julia an – dann wissen Sie, was ich meine.«
    Die Nachfahren der Inka erbringen nun einen weiteren Nachweis, dass die Hochkultur in ihrem Land seit über 500 Jahren tot ist, und stimmen Amazing Grace an.
    »Also, noch mal: Ich fühle mich inhaltlich im Recht, aber die Aggression war unangebracht. Okay?!«
    »Sorry, no hablamos alemán.«
    Wenig später ist es dunkel und kalt geworden. Ich trotte vorbei an der Synagoge in der Oranienburger Straße. Mehrere Damen, deren Garderobe sich nur in kleinen Details vom Disco-Outfit meiner Praktikantin unterscheidet, haben sich am Straßenrand postiert. Eine von ihnen sucht meinen Blick, als ich in ihre Richtung komme:
    »Hi, ich bin Janine, und wer bist du?«
    Janine ist höchstens Mitte zwanzig, hat lange braune Haare und könnte die Schwester von Sandra Bullock sein. Ich sollte gehen. Ich habe noch nie mit einer Prostituierten gesprochen, und so sollte es auch bleiben. Andererseits wäre es unhöflich, die Frage einfach so im Raum stehen zu lassen.

[Menü]
40
    9 Stunden, 34 Minuten nach der zweiten
geplatzten Hochzeit.
    »Also, ich bin Daniel. Aber ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken – ich bin nicht an Ihren Diensten interessiert. Ich habe gerade die Panflötenversion von Nothing else matters gehört – heute kann ich unmöglich Sex haben. Abgesehen davon halte ich käuflichen Sex für moralisch … äh … Wobei, ich will Ihnen jetzt kein schlechtes Gewissen machen, das ist natürlich Ihre Entscheidung. Es geht nur darum, äh … dass ich in meinem persönlichen Wertekodex gekauften Sex zu den Dingen zähle, die ich ebenso unterlassen möchte wie FDP wählen und zu einem Jeanette-Biedermann-Konzert gehen.«
    Janine, die auf so hohen Plateau-Pumps steht, dass sie im Zirkus sofort als Stelzenläuferin anfangen könnte, schaut mich irritiert an:
    »Na, du bist mir ja vielleicht ein komischer Vogel.«
    »Wow – noch nie hat jemand komischer Vogel zu mir gesagt. Ich dachte, dieser Begriff wäre ausgestorben, und man sagt jetzt Freak oder Nerd .«
    Janine lacht und streicht mir über den Arm. Irgendwie tut es gut, berührt zu werden.
    »Weißt du was, Daniel?«
    »Was?«
    »Ich glaube, du willst es und traust dich nur nicht.«
    »Ich sehe es ein kleines bisschen anders: Mein Es will, aber mein Ich und mein Über-Ich sind sich einig, dass das eine schlechte Idee wäre.«
    »Okay. Französisch 50 Euro, GV 100 Euro.«
    Janine hat sich offensichtlich entschlossen, nur mit meinem Es zu kommunizieren – was sowohl mein Ich als auch mein Über-Ich als grobe

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