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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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es Nahrung auf der Insel? Giftige Insekten? Schlangen? Sanitäre Anlagen?
    Ich korrigiere das Bild und liege jetzt am überwachten Strand eines Fünfsternehotels in der Karibik, wo es kein Ungeziefer gibt, aber eine Bar und All-inclusive-Büfett.
    Dieses Bild halte ich immerhin vierzig Sekunden. Dann wird mir klar, dass All-inclusive-Büfetts immer irgendwelche nervenden Pauschaltouristen anziehen. Schon liegen rechts neben mir zwei Schwaben, die sich über die Vor- und Nachteile des Bausparens unterhalten, während sich hinter mir eine sächsische Familie beim Strand-Kellner über die miese Getränkeauswahl beschwert. Auf meiner linken Seite grölt ein besoffener Engländer God save the Queen , und in den plätschernden Wellen tanzt das Ensemble von Riverdance. Ich habe keine Ahnung, wie sich das Ensemble von Riverdance in diese Vision geschlichen hat, zumal der große Erfolg dieser durchchoreografierten Bewegungsabnormität mindestens zehn Jahre her ist. Als auch noch einer der hüpfenden Iren von einem Hai gefressen wird, fürchte ich, dass ich verrückt werde.
    Ich rufe meinen Geist zur Ordnung: Okay, Daniel, Pauschalurlaubsvisionen funktionieren nicht, also versuch’s einfach mit Individualtourismus. Eine kleine Familienpension an einem einsamen Strand der Französischen Riviera, in der ich der einzigeGast bin und liebevoll umsorgt werde. Diesmal kann ich fast eine Minute ungestört am Strand liegen, bis plötzlich Kenan auftaucht und Geld für meine Sonnenliege verlangt. In diesem Moment höre ich Onkel Abdullahs Schnarchen. Wenig später kommen mindestens 500 hysterische Türken aus dem Wasser und laufen zur kranken Tante Emine, die jetzt auf meiner Liege liegt, während ich bis zum Kopf in den Sand eingebuddelt bin und mich nicht mehr bewegen kann. Eine mir wohlbekannte alte Rosenverkäuferin mit höchstens noch drei Zähnen kommt auf mich zu:
    »Du Rosse kaufe? Funf Öro.«
    »Entschuldigung, würden Sie bitte aus meiner Entspannungsvision verschwinden?«
    »Rott Rosse, kelb Rosse, weiss Rosse. Drei Öro fönza.«
    »Jetzt hören Sie mir mal zu: Diese Übung haben sich Profi-Psychologen ausgedacht. Da erwarte ich ein klein wenig mehr Respekt.«
    Sie legt mir eine Rose vor die Nase.
    »Drei Öro fönza.«
    Okay, Daniel – das ist nur in deinem Kopf. Denk dir einfach 100 Euro, dann verschwindet sie. Ich stelle mir also zwei Fünfzig-Euro-Scheine vor – mit dem Ergebnis, dass jetzt zehn weitere Rosenverkäuferinnen angelaufen kommen, weil ich so ein guter Kunde bin. Als der fünfjährige Taifun mir dann auch noch seinen Schniedel präsentieren will, beschließe ich, die Entspannungsübung abzubrechen. Allein das Wort Familien pension hat ausgereicht, um mir Schreckensbilder zu bescheren. Ich sollte jetzt weinen, einfach alles rauslassen. Ich spüre, wie die Tränen auf den Augapfel drücken, aber sie kommen einfach nicht raus, die Feiglinge.
    Ganz ruhig, Daniel. Was ist das Schlimmste, das jetzt passieren kann? Ich denke nach. Und bin erstaunt: Die übliche Horrorvision bleibt aus. Das Schlimmste, das passieren kann, ist bereits passiert: Ich habe Aylin verlassen. Schlimmer kann der Tod auch nicht sein. Diese Erkenntnis entspannt mich, und ich falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem mich mein Handywecker nach einer knappen Dreiviertelstunde wieder zurückholt: Zeit für Bernd Banane!

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    10 Minuten vor dem künstlerischen Durchbruch
von Bernd Banane.
    Es ist Freitagmorgen, halb sechs Uhr, und ich sitze mit Jupp und Ralf Süffels in einer tristen SAT. 1-Frühstücksfernsehen-Garderobe, in der eine Autogrammkarten-Galerie von Künstlern, die hier zu Gast waren, den einzigen Schmuck bildet: Von Soap-Sternchen über Schlagerstars bis hin zu Möchtegern-Star-Astrologen hat hier jeder schon mal seine Nase reingehalten, dem ein Fernsehauftritt wichtiger war als gesunder Schlaf.
    Ich befinde mich in einer Art Wachkoma und fühle mich von Jupp Süffels’ guter Laune belästigt, mit der er das Lied »Jetzt geht’s los« von den Höhnern viel zu laut in die kleine Garderobe katapultiert. Ich summe leise »Thank you for the Music« dagegen, aber der Trick funktioniert nur, wenn der Ohrwurm im Kopf rotiert und nicht im Zimmer.
    Als sich Ralf Süffels unter dem kritischen Blick seines Vaters den gelben Glitzeranzug anzieht, habe ich das Gefühl, durch einen Riss im Raum   /   Zeit-Kontinuum in eine erotische Phantasie von Carmen Nebel geraten zu sein. Ich reiße mich zusammen und versuche, positiv

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