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Der Boss

Der Boss

Titel: Der Boss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Netenjakob
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zu wirken:
    »Also, Ralf, geh da raus und rock den Laden. Du kannst das!«
    Mein Gott, bin ich verlogen. Jetzt legt Jupp Süffels den Arm um seinen Sohn und beweist, dass er die moderne Motivationspsychologie meisterhaft beherrscht:
    »Dat ist deine jroße Chance, Ralf – verstehste? Wenn du dat hier versaust, dann war et dat mit deiner Karriere.«
    Ralf nickt unsicher. Und ich habe eine spontane Einsicht: Familiären Druck gibt es in einer deutschen Familie genauso wie in einer türkischen – hierzulande gibt es nur weniger Personen, die ihn ausüben können.
    Während sich Ralf eine unglaublich alberne gelb glitzernde Schirmmütze mit eingesticktem Süffels-Kölsch-Schriftzug auf den Kopf setzt, memoriert er noch einmal seinen Text:
    »Hey, du Doofmann, schreib dir auf die Fahne: Keiner ist so stark wie Bernd Banane …«
    »Stimmt, dat wollte isch dir die janze Zeit schon sagen, Ralf …«
    »Wat denn, Papa?«
    »Dat mit dem Doofmann, dat jefällt mir nit. Da fehlt der Charme.«
    »Papa, normalerweise singen die: ›Du Pisser‹ oder ›Du Hure‹.«
    »Echt? Dat is aber meilenweit unter Niveau.«
    »Dat is nit unter Niveau, dat is normal im Hip-Hop.«
    »Dat hat misch die janze Zeit schon jestört. Oder auch die andere Zeile da: ›Mit mir ist nit jut Kirschen essen‹ – wat soll dat?«
    »Papa, isch habe in fünf Minuten den Auftritt! Isch muss misch jetzt konzentrieren.«
    »Isch mein ja nur. Wir sind Kölsche. Wir sind tolerant, und mit uns ist jut Kirschen essen.«
    »Papa, die von Aggro Berlin, die singen, dat sie die anderen umbringen und die Jeschlechtsteile abschneiden und so – isch meine, da ist dat mit dem Kirschenessen doch harmlos.«
    »Die wollen die Jeschlechtsteile abschneiden? Also, dat hat für misch nix mehr mit Unterhaltung zu tun.«
    »Außerdem: Würdest du bitte aufhören, den Text zu kritisieren?! Isch muss da gleich raus.«
    Die Tür öffnet sich, und eine unterkühlte Ich-bin-was-Besseres-denn-ich-arbeite-beim-Fernsehen-Blondine mit Headset steckt kurz ihren Kopf ins Zimmer:
    »Herr Banane? Jetzt läuft gerade der Bericht über Laktoseintoleranz bei Nagetieren, danach ist Ihr Auftritt. Ich hole Sie dann in drei Minuten ab.«
    Ralf Süffels pustet tief durch. Jupp Süffels klopft ihm auf die Schulter.
    »Jetzt bleib mal janz ruhig, Ralf. Den Text kannst du eh im Schlaf, den kann sogar isch , obwohl isch dat Lied nur dreimal jehört hab. Herr Hagenberger, Sie sind doch auch Texter … Könnense nit schnell wat anderes finden als ›Hey, du Doofmann‹?«
    Ich döse.
    »Herr Hagenberger?«
    Ich döse immer noch.
    »Herr Hagenberger?!«
    Erst jetzt sind die vergangenen zwei Minuten in meiner Großhirnrinde angekommen. Normalerweise hätte mir spätestens die Diskussion über Aggro Berlin die Lachtränen in die Augen getrieben – aber heute … Da ist nichts. Gar nichts. Na los, Daniel! Nicht schlappmachen! Nicht drei Minuten vor dem großen Auftritt von Bernd Banane! Ich atme tief durch und bin wieder bei klarem Verstand: Ich muss Ralf vor seinem eigenen Vater beschützen – ich muss ihm jetzt Kraft geben. Ich gehe zu Ralf, lege ihm die Hände auf die Schultern und nicke ihm lächelnd zu:
    »Ralf, vergiss alles, was dein Vater gesagt hat. Das Lied ist großartig, und dein Auftritt wird dich ganz nach oben …«
    Plötzlich und ohne Vorwarnung schießen mir die Tränen ins Gesicht.
    »… ganz nach oben in die Liste der lächerlichsten Menschen Deutschlands katapultieren.«
    Ich schluchze. O nein! Bitte nicht, Daniel – nicht zwei Minuten vor dem Auftritt! Jupp Süffels zieht mich von seinem Sohn weg.
    »Herr Hagenberger, wat soll dat?«
    Ich kann mich nicht mehr kontrollieren. Von heftigem Schluchzen geschüttelt, fließen mir Sätze aus dem Mund.
    »Ja, wahrscheinlich schaffen wir es, Ihren Sohn berühmt zu machen – aber was ist der Preis?«
    »Dat Ihr Chef den Werbedeal bekommt.«
    »Das meine ich nicht. Ich meine: Das ist der schlechteste Hip-Hop-Song aller Zeiten – den sollte niemand singen müssen! Und niemand sollte Bernd Banane heißen. Niemand sollte vor einem Millionenpublikum der Lächerlichkeit preisgegeben werden. ›Die Würde des Menschen ist unantastbar‹? Ha! Wenn dieser Artikelkonsequent angewendet würde, wäre das gesamte Privatfernsehen längst verboten! Aber es geht nie um die Menschenwürde, es geht immer um irgendwelche Deals. Süffels, BMW , Nokia – egal. Die Würde ist doch scheißegal, solange der Profit stimmt. Dschungelcamp, Topmodel,

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