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Der Botschafter

Der Botschafter

Titel: Der Botschafter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Dutzend zerlesener Taschenbücher. Astrid war das Leben im Untergrund gewöhnt gewesen: Als Mitglied der Rote-Armee-Fraktion hatte sie viele Jahre in Beirut, Tripolis und Damaskus verbracht. Sie hatte gewußt, wie man kam und ging, ohne Spuren zu hinterlassen.
    Delaroches zwanghaftes Streben nach Unabhängigkeit hatte ihn unfähig gemacht, jemanden zu lieben, aber er hatte Astrid gerngehabt und ihr vor allem vertraut. Sie war die einzige Frau gewesen, die seine Lebensgeschichte gekannt hatte. In ihrer Gegenwart hatte er sich nicht verstellen müssen. Sie wollten nach dem letzten Auftrag in die Karibik übersiedeln, um dort in einem eheähnlichen Verhältnis zu leben, aber Michael Osbournes Frau hatte Astrid auf Shelter Island erschossen.
    Delaroche stieg wieder nach oben und sperrte die Tür hinter sich ab. Dann radelte er im Licht der Straßenbeleuchtung zu seiner Wohnung zurück. Delaroche mordete aus zwei Gründen:

    um einen Auftrag auszuführen oder um sich selbst zu schützen.
    Der Mord an Maurice Leroux fiel in die zweite Kategorie. Er tötete niemals aus Zorn; ebenso hatte er noch nie aus Rache getötet, weil er rachgierigen Blutdurst für das schädlichste aller Gefühle hielt. Außerdem fand er, ein Profi seines Formats müsse darüber erhaben sein. Aber während Delaroche jetzt mit einem Gesicht, das er nicht wiedererkannte, durch die Straßen einer fremden Großstadt radelte, beherrschte ihn der Wunsch, Michael Osbourne zu töten.
    Er sah die junge Deutsche am Eingang seines Hauses warten, überquerte die Herengracht und wartete auf dem anderen Ufer.
    Er hatte nicht den Wunsch, sie wiederzusehen. Schließlich kritzelte sie eine Nachricht auf einen Zettel, den sie in seinen Briefkasten warf, bevor sie die Herengracht entlang davonstürmte. Er holte den Zettel aus dem Briefkasten - Du bist ein Scheißkerl! Ruf mich bitte an. Küsse, Eva -, bevor er sein Mountain Bike in die Wohnung hinauftrug.
    In seinem Atelier stellte er das unfertige Ölbild zu den anderen unfertigen Bildern an die Wand. Er fand es plötzlich gräßlich; es erschien ihm gekünstelt, phantasielos, langweilig.
    Er zog seine Jacke aus und stellte eine große leere Leinwand auf die Staffelei. Er hatte sie schon einmal gemalt, aber auch dieses Porträt hatte er wie alle übrigen Bilder vor seiner Abreise aus Mykonos verbrannt. Jetzt stand er lange im Halbdunkel vor seiner Staffelei und versuchte sich Astrids Gesicht ins Gedächtnis zurückzurufen. Es hatte byzantinisch gewirkt, daran erinnerte er sich gut: hohe Backenknochen, ein großer, beweglicher Mund und ausdrucksvolle, etwas zu helle blaue Augen. Das Gesicht einer Frau aus einer anderen Zeit, aus einem anderen Land.
    Er schaltete die grellen Halogenleuchten an der Decke ein und begann zu arbeiten. Die erste Leinwand nahm er von der Staffelei, weil ihm die Körperhaltung nicht gefiel, und beim zweiten Entwurf war die Knochenstruktur ihres Gesichts nicht getroffen. Erst beim dritten Versuch schien von Anfang an jeder Pinselstrich zu sitzen. Er malte seine deutlichste visuelle Erinnerung an Astrid:
    Sie lehnte am rostigen Eisengeländer eines Hotelbalkons in Kairo und trug nur die bis zum Nabel aufgeknöpfte Galabia eines Mannes, während die untergehende Sonne durch den dünnen weißen Baumwollstoff schien und die sanften Linien ihres Rückens und ihrer straffen Brust erkennen ließ.
    Er arbeitete die ganze Nacht hindurch bis zum frühen Morgen und vergiftete sich dabei mit Kaffee, Wein und Zigaretten. Als das Porträt fertig war, konnte er nicht schlafen, weil er bohrende Kopfschmerzen hatte. Er nahm die Leinwand ins Schlafzimmer mit und stellte sie am Fußende seines Betts auf einen Hocker.
    Irgendwann gegen Mittag fiel er endlich in unruhigen Schlaf.

30 
    LONDON-NEW YORK CITY

    Nach dem Überfall auf Hartley Hall mußte Michael Osbourne noch drei Tage in London bleiben und sich mit dem wahren Feind des Personals aller Geheimdienste auseinandersetzen: der Bürokratie. Er hatte zwei Tage damit verbracht, seine Aussagen bei den Ermittlungsbehörden zu Protokoll zu geben. Er hatte Wheaton geholfen, das durch Preston McDaniels' Selbstmord verursachte Chaos zu beseitigen. Er hatte mit der Special Branch verbesserte Sicherheitsmaßnahmen für Douglas Cannon festgelegt. Er hatte an dem Trauergottesdienst für die beiden in den nordirischen Sperrin Mountains ermordeten SAS-Männer teilgenommen.
    Seinen letzten Tag in London verbrachte Michael in einem abhörsicheren Raum tief in den

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