Der Botschafter
seine Wohnung betrat. Er stieg im sechsten Stock aus, ging die Treppe hinunter und klingelte bei Leroux.
Der Chirurg öffnete seine Wohnungstür, starrte ihn perplex an und fragte: »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Ja«, antwortete Delaroche. Seine stahlharte Handkante traf Leroux' Kehle. Während der andere sich sprachlos nach Luft ringend zusammenkrümmte, schloß Delaroche ruhig die Wohnungstür hinter sich.
»Wer sind Sie?« keuchte Leroux heiser. »Was wollen Sie?«
»Ich bin der, dessen Gesicht Sie mit einem Hammer entstellt haben.«
Jetzt erkannte Leroux ihn.
»Großer Gott!« flüsterte er.
Delaroche zog die Beretta mit aufgesetztem Schalldämpfer aus seiner Manteltasche.
Leroux begann am ganzen Leib wie Espenlaub zu zittern.
»Ich bin zuverlässig!« beteuerte er. »Ich habe schon viele Männer wie Sie operiert.«
»Nein, das haben Sie nicht«, sagte Delaroche und schoß ihn zweimal ins Herz.
Am frühen Nachmittag des folgenden Tages traf Delaroche wieder in Amsterdam ein. Er fuhr mit einem Taxi in seine Wohnung und packte seine Malutensilien in einen blauen Nylonrucksack: zwei kleine Leinwände, Farben, Pinsel und Palette, eine Polaroidkamera, eine Feldstaffelei und die Beretta.
Dann fuhr er mit seinem Mountain Bike zu einer Kanalbrücke, von der aus er den Blick über die Keizersgracht malen wollte.
Er sperrte sein Rad ab und ging eine Weile auf der Brücke hin und her, bis er eine Perspektive gefunden hatte, die ihm zusagte: Hausboote vor drei prächtigen, spitzgiebligen Häusern. Er nahm seine Kamera aus dem Rucksack und hielt das Motiv in mehreren Aufnahmen fest - erst in Schwarzweiß, um die grundlegenden Formen und Linien besser erkennen zu können, danach in Farbe.
Er machte sich an die Arbeit, malte schnell und sicher und beeilte sich, das frühe Dämmerlicht einzufangen, bevor der Abend herabsank. Als die Straßenlampen auf der Brücke eingeschaltet wurden, legte er Pinsel und Palette weg und blickte lange aufs Wasser hinunter, um die Lichtreflexe auf der spiegelglatten Oberfläche des Kanals zu studieren. Er wartete darauf, daß ihn der Zauber dieser Szene gefangennahm und die Erinnerung an Maurice Leroux' tote Augen verdrängte, aber die erhoffte Wirkung trat nicht ein.
Ein langes Wassertaxi glitt unter der Brücke hindurch und zerstörte mit Bugwelle und Kielwasser die Spiegelung der Brückenlampen. Delaroche packte seine Sachen zusammen. Mit seinem noch feuchten Ölbild in der rechten Hand radelte er die Keizersgracht entlang. In anderen Städten hätte er damit vermutlich neugierige Blicke auf sich gezogen, nicht jedoch in Amsterdam.
Delaroche überquerte die Keizersgracht auf der Ree Straat und radelte gemächlich die Prinsengracht entlang, bis das alte Hausboot vor ihm auftauchte. Er kettete sein Mountain Bike an einen Laternenpfahl, lehnte das noch feuchte Ölbild ans Vorderrad und sprang aufs Deck hinunter.
Die Krista war fünfzehn Meter lang und hatte das Ruderhaus achtern, einen schlanken Bug und eine lange Reihe Bullaugen unterhalb der Reling. Der grünweiße Anstrich blätterte an vielen Stellen ab. Die Tür vor dem Niedergang war mit einem schweren Vorhängeschloß gesichert, für das Delaroche noch immer den Schlüssel hatte. Er sperrte das Schloß auf und stieg in den Salon hinunter, der nur vom schwachen Schein der gelben Straßenlampen erhellt wurde, der durch die schmutzigen Oberlichter fiel.
Das Boot hatte Astrid Vogel gehört. Letzten Winter hatten sie hier zusammengelebt, nachdem Delaroche sie engagiert hatte, damit sie ihn bei einer Serie besonders schwieriger Auftragsmorde unterstützte. Er glaubte, sie jetzt vor sich zu sehen - wie ihr langer Körper sich geschmeidig durch die engen Räume des Hausboots bewegte. Er sah zum Bett hinüber und erinnerte sich daran, wie sie sich darin geliebt hatten, während Regen aufs Oberlicht trommelte. Astrid hatte unter Alpträumen gelitten und oft im Schlaf um sich geschlagen. Einmal war sie aus einem schlimmen Traum aufgeschreckt und darüber erschrocken, daß ein Mann in ihrem Bett lag. Sie hätte Delaroche erschossen, wenn es ihm nicht gelungen wäre, ihr rechtzeitig die Pistole zu entwinden.
Seit Astrids Tod war Delaroche nicht me hr auf der Krista gewesen. Er war mehrere Minuten damit beschäftigt, in Schränken und Schubladen nach Dingen zu suchen, die er vielleicht zurückgelassen hatte. Aber er fand nichts. Auch an Astrid erinnerte hier nichts außer einigen scheußlichen Kleidungsstücken und einem
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