Der Botschafter
- erst Jake, dann Liza - und umgab sie mit Plüschtieren, Quietschspielzeug und Rasseln. Dann lag sie zwanzig Minuten zwischen ihnen auf dem Fußboden, spielte mit ihnen und gab die dümmlichen Gurrlaute von sich, die sie verrückt gemacht hatten, bevor sie selbst Kinder gehabt hatte. Schließlich setzte sie sich aufs Bett und beobachtete die Zwillinge einfach nur.
Elizabeth hatte sich bewußt dazu gezwungen, ihre Prozeßvorbereitungen zu unterbrechen und sich das ganze Wochenende über den Kindern zu widmen. Das war wundervoll gewesen: An diesem Vormittag hatte sie mit den Kindern einen langen Spaziergang auf der Shore Road gemacht und war dann mit ihnen zum Lunch in ihr Lieblingsrestaurant in Sag Harbor gegangen. Es wäre perfekt gewesen, wenn ihr Ehemann und ihr Vater nicht in London gewesen wären.
Sie staunte darüber, wie verschieden die Zwillinge waren.
Liza war ganz wie ihre Mutter: offen, freundlich, auf ihre Weise gesprächig und stets bemüht, anderen zu gefallen. Jake war das genaue Gegenteil. Jake lebte in seiner eigenen Gedankenwelt.
Liza versuchte bereits, allen zu erzählen, was sie dachte. Jake behielt seine Gedanken lieber für sich. Er ist erst vier Monate alt, dachte sie, aber schon genau wie sein Vater und sein Großvater. Wenn er auch ein Spion wird, erschieße ich mich!
Dann fiel ihr wieder ein, wie sie Michael behandelt hatte, und sofort hatte sie ein schlechtes Gewissen. Es war ungerecht gewesen, Michael Vorwürfe zu machen, weil er es übernommen hatte, diese Sonderkommission zur Bekämpfung des Terrorismus in Nordirland zu leiten. Tatsächlich war Elizabeth längst zu dem Schluß gekommen, es sei töricht von ihr gewesen, ihn überhaupt zu ermutigen, die Agency zu verlassen. Michael hatte recht. Es war ein wichtiger Job, und aus irgendwelchen Gründen machte er ihn glücklich.
Elizabeth beobachtete wieder die Kinder. Liza schmuste mit einem kleinen Plüschhund, Jake lag auf dem Rücken und starrte wie gedankenverloren aus dem Fenster. Michael war, wie er war, und es hatte keinen Zweck, ihn ändern zu wollen.
Schließlich hatte sie sich einmal wegen genau seiner Art in ihn verliebt.
Sie dachte an Michael in Belfast und spürte, daß ihr dabei ein kalter Schauder über den Rücken lief. Sie fragte sich, was er dort tat - ob er sich an gefährlichen Orten aufhielt. Sie würde sich nie an die Idee gewöhnen, daß er ihr Zuhause zu irgendwelchen »Einsätzen« verließ. Sola nge er unterwegs war, lag die Angst wie ein Eisklumpen in ihrem Magen. Dann schlief sie mit brennender Nachttischlampe und leise laufendem Fernseher. Dabei hatte sie nicht unbedingt Angst um seine persönliche Sicherheit; sie hatte Michael in Aktion erlebt und wußte, daß er sich verteidigen konnte. Ihre Besorgnis entsprang dem Wissen, daß Michael ein anderer Mensch wurde, wenn er unterwegs war. Kam er dann heim, wirkte er zunächst immer ein bißchen fremd. Im Einsatz lebte er ein anderes Leben, und Elizabeth fragte sich manchmal, ob sie auch daran teilhatte.
Auf der Shore Road kamen Autoscheinwerfer näher. Sie trat ans Fenster und beobachtete, wie der Wagen am Tor hielt. Der Wachposten winkte ihn durch, ohne erst im Haus anzurufen, was bedeutete, daß der Fahrer Michael sein mußte.
»Maggie?« rief Elizabeth.
Maggie kam herein. »Ja, Elizabeth?«
»Eben ist Michael heimgekommen. Können Sie einen Augenblick auf die Kinder aufpassen?«
»Natürlich.«
Elizabeth lief die Treppe hinunter. Sie riß den nächstbesten Mantel von einem Garderobenhaken neben der Haustür und hängte ihn sich um, während sie über die Einfahrt zu dem Wagen hastete, aus dem Michael jetzt stieg.
Sie umarmte ihn und sagte: »Du hast mir schrecklich gefehlt, Michael. Mir tut alles so leid. Bitte verzeih mir.«
»Was denn?« fragte er und küßte sie sanft auf die Stirn.
»Daß ich so aasig gewesen bin.«
Als sie ihn an sich drückte, ächzte Michael unwillkürlich.
Elizabeth schob ihn von sich weg, runzelte die Stirn und zog ihn ins Licht, das aus einem der Fenster des Hauses fiel.
»O Gott, was ist mit dir passiert?«
20
LONDON • MYKONOS • ATHEN
Eine Woche nach Michael Osbournes Abreise aus London fuhr ein silbergrauer Jaguar vor einer georgianischen Villa in St. John's Wood vor. Auf dem Rücksitz der Limousine saß der Direktor. Er war ein kleiner Mann mit schmalem Kopf und schmalen Hüften, mit aschblondem Haar, in das sich graue Strähnen mischten, und graugrünen Augen, die an Meerwasser im Winter
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