Der Bourne Befehl
lieben, doch dann waren seine antisemitischen Bemerkungen gekommen, und sie verlor das Vertrauen in ihre eigenen Gefühle. Sie bezweifelte, dass ihre Liebe zu ihm echt gewesen war, wenn ein unschöner Vorfall sie zunichtemachen konnte. Aber sie war sich nicht ganz sicher, und jetzt würde sie nie Gewissheit haben. Sie blickte auf den Kanal hinaus und sah Amuns Gesicht. Sie wünschte sich, er würde etwas sagen. Aber die Toten waren stumm, sie konnten sich nicht verteidigen oder entschuldigen. Sie konnten auch nicht ihre Liebe beteuern.
Tränen traten ihr in die Augen und rollten ihr über die Wangen. Die Welt erschien ihr so leer, so unendlich gleichgültig. Amun war tot, und sie war schuld daran. Sie hatte ihn gebeten, nach Paris zu kommen, um ihr bei ihren Ermittlungen zu helfen, und aus Liebe zu ihr war er gekommen. Sie hätte sich nie mit ihm einlassen dürfen. Jason hatte in seinem Leben ähnlich bittere Erfahrungen gemacht, doch er hatte daraus gelernt.
Ich hätte bestraft werden müssen, nicht Amun.
Sie hielt es auch im Café nicht mehr aus, warf ein paar Euro auf den Tisch und wankte über das glitzernde Kopfsteinpflaster, tiefer ins Herz der Stadt hinein. Drei Blocks weiter musste sie sich an einem Laternenmast festhalten, sie krümmte sich und gab ihren ganzen Mageninhalt von sich.
Bourne durchsuchte die beiden toten Russen in der Hoffnung, einen Hinweis auf ihre Organisation zu finden. Doch sie hatten nichts Aufschlussreiches bei sich, nur die Schlüssel für den Van und die Vespa, zwanzigtausend Euro, drei Packungen Zigaretten und ein billiges Feuerzeug; keine Ringe oder sonstigen Schmuck. Er nahm dem toten Killer die Zyanidkapsel aus dem Mund und steckte sie ein. Dann entkleidete er die Toten, in der Hoffnung, anhand von Tätowierungen ihre Zugehörigkeit feststellen zu können – doch sie hatten keine. Immerhin war klar, dass diese Männer nicht zur Mafia gehörten, doch wie Agenten des SWR sahen sie auch nicht aus. Das Rätsel wurde nur noch größer.
Er nahm das Brecheisen und trat durch die Hintertür in einen kurzen, übel riechenden Korridor, vorbei an einer Toilette, deren Gestank ihm die Tränen in die Augen trieb. Am Ende des Ganges lag ein kleines Büro mit einem schäbigen Metalltisch, einem Drehstuhl und einem Aktenschrank. Es gab nur ein Fenster, das auf einen Luftschacht hinausging.
Die Schubladen des Aktenschranks waren leer, nicht einmal eine Büroklammer war noch da. Doch an die Unterseite der Schreibtischplatte hatte jemand einen Umschlag geklebt. Bourne öffnete ihn und fand darin zwölf Versandetiketten für die Kisten in der Lagerhalle. Sie gingen alle an denselben Empfänger: El-Gabal, Avenue Choukry Kouatly, Damaskus, Syrien.
Jetzt wollte er wirklich wissen, was sich in diesen Kisten befand. Er schloss den Umschlag, da hörte er, wie sich das Tor des Lagerhauses öffnete und ein Auto hereinfuhr. Rasch befestigte er den Umschlag wieder an seinem Versteck. Aus der Halle hörte man aufgeregte Stimmen. Bourne lief zum Fenster, riss es auf und kletterte hinaus.
Es gab keinen anderen Weg als über den Schacht nach oben. Er schloss das Fenster hinter sich, um zusätzliche Zeit zu gewinnen. Die weiße Wand bot nirgends Halt; er schwang sich zu einem Regenrohr hinüber und kletterte nach oben.
Das Haus in der Rue Vernet 5 war so hell erleuchtet wie am Silvesterabend. Davor standen Autos von Geheimdienst und Polizei, die Umgebung war abgesperrt und wurde von Polizisten mit Maschinenpistolen bewacht.
Jacques Robbinet traf Aaron im Monition Club an, wo er mit seinem Team ein Labyrinth von Büros durchkämmte, unter den schockierten Blicken der wenigen Mitarbeiter, die zu dieser späten Stunde noch anwesend waren.
»Was suchen Sie?«, fragte Robbinet.
»Alles Mögliche, nichts Bestimmtes«, gab Aaron zurück.
»Und Soraya Moore?«
»Sie ist verschwunden.«
»Wie bitte?«
»Ich ging nur kurz aus ihrem Zimmer, und als ich zurückkam …« Er zuckte mit den Schultern.
»Und jetzt sind Sie hier, statt sie zu suchen?«
»Ich habe das ganze Krankenhaus durchkämmt. Dann habe ich zwei Suchmannschaften losgeschickt.«
Robbinet sah ihn durchdringend an. »Aber Sie finden es nicht der Mühe wert, sich an der Suche zu beteiligen.«
»Entschuldigen Sie, aber Marchand hat mit arabischen Terroristen zusammengearbeitet. Das ist eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit.«
»Sie erzählen mir etwas von nationaler Sicherheit?« Robbinet nahm Aaron am Arm und trat mit ihm beiseite. »Ich
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