Der Bourne Befehl
immer noch nicht glauben. »Sie haben zu viele Verbündete, auch einige in deiner Umgebung.«
»Zum Beispiel Iwan Wolkin?«
Das blanke Entsetzen trat in Tscherkesows Gesicht. »Du weißt es? Woher weißt du das?« Seine ganze Haltung veränderte sich. Sein Gesicht war leichenblass, er atmete schwer.
»Um Iwan Iwanowitsch kümmere ich mich auch noch«, sagte Boris. »Aber jetzt bist du an der Reihe.«
»Champagner oder Orangensaft, Sir?«
»Champagner, danke«, sagte Bourne zu der jungen Flugbegleiterin, als sie sich zu ihm beugte, ein kleines Tablett auf den gespreizten Fingern balancierend.
Sie lächelte freundlich und reichte ihm die Champagnerflöte. »Das Essen wird in vierzig Minuten serviert, Sir. Haben Sie sich schon entschieden?«
»Ja«, antwortete Bourne und zeigte auf die Speisekarte.
»Sehr gern, Sir.« Das Lächeln der Flugbegleiterin wurde noch breiter. »Wenn Sie irgendetwas brauchen, mein Name ist Rebekka.«
Als sie gegangen war, schaute Bourne aus dem Fenster und nippte von seinem Champagner. Er musste wieder an Boris denken und warum er noch nicht aufgetaucht war. In diesem Kampf war Boris eindeutig im Vorteil. Sie waren Freunde, weil Boris ihm gesagt hatte, dass sie es schon in der Zeit waren, von der Bourne absolut nichts mehr wusste. Die erste Begegnung, an die Bourne sich erinnern konnte, hatte vor sechs Jahren in Reykjavik stattgefunden, doch die Zeit davor lag für ihn völlig im Dunkeln. Waren sie wirklich davor schon Freunde gewesen, wie Boris ihm versicherte, oder hatte er ihn die ganze Zeit belogen? Diese Ungewissheit war nicht nur quälend – sie war auch extrem gefährlich. Wenn Leute aus seiner Vergangenheit auftauchten und behaupteten, seine Freunde oder Kollegen zu sein, musste er sich entscheiden, ob er ihnen glaubte oder nicht. In den sechs Jahren, die er Boris jetzt kannte, hatte sich der Russe immer wie ein echter Freund verhalten. Vor zwei Jahren war Boris im Nordwesten des Iran verwundet worden; Bourne hatte ihn gefunden und in Sicherheit gebracht. Sie hatten in mehreren gefährlichen Situationen Seite an Seite gekämpft, und Bourne hatte nie einen Grund gehabt, an Boris’ Motiven zu zweifeln. Bis jetzt.
Haben Sie sich schon entschieden? , hatte ihn die Flugbegleiterin gefragt. Ein harmloser Satz, der jedoch eine tiefere Bedeutung hatte, von der sie nichts wissen konnte. Seit Bourne damals schwer verletzt ins Meer gestürzt und ohne Erinnerung an seine Vergangenheit wieder aufgetaucht war, stand er immer wieder vor dem Problem, die Entscheidungen zu verstehen, die er früher getroffen hatte und die sein Leben auch heute noch beeinflussten; noch problematischer waren die Entscheidungen, die Alex Conklin einst für ihn getroffen hatte. Soeben war wieder ein solcher Vorfall aus den Nebeln der Vergangenheit aufgetaucht, als er erfahren hatte, einst Kajas Mutter Viveka Norén getötet zu haben. Es war schwer zu ertragen, dass Conklin ihn auf eine solche Rachemission geschickt hatte – und wozu? Um einem Toten, der ihn hatte ermorden wollen, eine Lektion zu erteilen? Es widerte ihn an, dass Conklin zu einer solchen Grausamkeit fähig gewesen war. Und er selbst war sein Handlanger und Vollstrecker gewesen. Von dieser Schuld konnte er sich nicht freisprechen. »Es gibt keinen Grund.«
Nein, dachte er, es gab wirklich keinen Grund.
»Also, Mademoiselle Gobelins«, begann El-Arian, »was können wir für Sie tun?«
Als er sich neben sie setzte, hatte Soraya das Gefühl, dass es ihr die Haut versengte. Unsichtbare Ameisen krochen über ihre Arme, und sie musste sich zusammennehmen, um nicht zurückzuzucken. Selbst sein Lächeln war finster, so als käme die Emotion dahinter aus einem tief verborgenen Winkel. Sie spürte seine enorme psychische Energie, und zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben hatte sie vor einem Menschen Angst. Als sie fünf war, hatte ihr Vater sie einmal zu einem Seher in einer dunklen Gasse in Kairo mitgenommen. Sie hatte keine Ahnung, warum er das getan hatte. Als ihre Mutter davon erfuhr, wurde sie so wütend, wie Soraya sie noch nie erlebt hatte.
Der Seher war ein überraschend junger Mann mit schwarzen Augen und Haaren und einer dunklen Haut, die aussah wie von einem Krokodil. Als er ihre Hand in die seine nahm, hatte sie ein Gefühl, als würde der Boden unter ihr nachgeben, als würde sie in einen tiefen Abgrund stürzen.
»Ich halte dich«, versuchte der Seher sie zu beruhigen, doch sie fühlte sich wie eine Fliege im Spinnennetz und brach
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