Der Bourne Befehl
vorgehabt, in der Messe am nächsten Sonntag vor der ganzen Gemeinde zu sagen, was der Pfarrer verbrochen hatte.
Sein Vater hatte es ihm verboten. Es wäre für dich viel schlimmer als für ihn , hatte er seinem Sohn erklärt. Dann wüsste es jeder, und es würde dir dein Leben lang nachhängen . Peter sah, dass es seinem Vater sehr ernst war; er hatte ihn schon öfter richtig wütend erlebt und wollte seinen Zorn nicht herausfordern.
Als sie an dem Sonntag in die Kirche gingen, hielt ein Pfarrer, den Peter noch nie gesehen hatte, die Messe. Später hörte er draußen vor der Kirche die Leute reden. Pater Benedict sei gestern Abend auf dem Nachhauseweg angegriffen worden. »Zu Brei geschlagen« waren die Worte, die er von verschiedenen Seiten hörte. Der Pfarrer lag offenbar in kritischem Zustand im Sisters of Mercy Hospital, und er kehrte nicht mehr zu seiner alten Pfarrei zurück, obwohl er nach sechs Wochen aus dem Krankenhaus entlassen wurde.
Peters Augen klärten sich. Hendricks war aus seinem Haus gekommen. Ein schwarzer Lincoln war vorgefahren, und der Fahrer stieg aus und öffnete die Tür für den Minister. Einer der Sicherheitsmänner stieg mit ihm ein. Zwei andere setzten sich in ihren unauffälligen Ford, und die beiden Autos fuhren gleichzeitig weg. Peter vermied es, den vierten Sicherheitsmann anzusehen, als er mit seiner Beschattung begann.
Und wieder schweiften seine Gedanken in die Vergangenheit, in seine Zeit auf der Highschool und am College, als er feststellte, dass er sich zu Jungen mehr hingezogen fühlte als zu Mädchen. Er sammelte erste Erfahrungen mit Gleichgesinnten, wenn auch sehr vorsichtig, wie es seinem Wesen entsprach. Als er sich für das Geheimdienstwesen zu interessieren begann und die entsprechenden Kurse besuchte, bekam er plötzlich einen neuen College-Berater, den er noch nie gesehen hatte. Eines Tages holte ihn der Berater zu einem Gespräch zu sich, in dem er Peter unmissverständlich klarmachte, dass ihm eine Geheimdienstlaufbahn nur dann offenstehe, wenn er darauf verzichtete, seine Neigungen auszuleben.
Das Thema wurde nie wieder angesprochen, doch Peter nahm sich den Rat zu Herzen, zumal er von vielen Fällen von Spionen oder Männern in sensiblen Positionen las, denen ihre sexuellen Vorlieben zum Verhängnis geworden waren. So wollte er selbst unter keinen Umständen enden. Und er erinnerte sich noch sehr gut daran, was mit Pater Benedict passiert war. Also lebte er enthaltsamer, als es der Pfarrer je getan hatte.
Er liebte Soraya wie eine Schwester, doch er war nie in sie verliebt gewesen. Ihre Zuneigung zu Jason Bourne hatte ihn trotzdem eifersüchtig gemacht, auch wenn er heute darüber lachte. Wie hatte er jemals eifersüchtig auf Bourne sein können? Er beneidete den Mann wirklich nicht um das Leben im Dunkeln, das er führte.
Die Autos verließen die von Bäumen gesäumten Straßen von Georgetown und fuhren ostwärts ins Herz von Washington. Die Schleier der Abenddämmerung senkten sich allmählich herab. Er sah auf die Uhr; Sorayas Flugzeug würde jeden Moment starten und sie nach Paris zu ihrem Rendezvous mit Amun Chalthoum bringen. Er hatte seinen Freund Jacques Robbinet angerufen und ihm ihre Ankunftszeit mitgeteilt. Robbinet, den er über Jason Bourne kennengelernt hatte, war der französische Kulturminister, aber auch in führender Funktion im Geheimdienstwesen aktiv. Er hatte Peter versprochen, Soraya in jeder Weise zu unterstützen, wenn es darum ging, die französische Bürokratie zu umgehen.
Die beiden Autos wurden langsamer, als sie zur East Capitol Street kamen. Sie überquerten die 2 nd Street und hielten vor der Folger Shakespeare Library, einer der bemerkenswertesten Institutionen der Hauptstadt. Henry Clay Folger war einst Präsident von Standard Oil, heute Exxon Mobil, gewesen. Er war aus demselben Holz geschnitzt wie die großen amerikanischen Unternehmerpersönlichkeiten John D. Rockefeller, J. P. Morgan oder Henry E. Huntington. Er verwendete viel Zeit darauf, Erstausgaben von Shakespeares Theaterstücken zu sammeln, die als First Folio bekannt sind. Außerdem beherbergte die Bibliothek alle wichtigen Werke über Shakespeare, von der Erfindung der Druckerpresse bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. Sie besaß sogar 55 Prozent aller bekannten Bücher, die bis zum Jahr 1640 in englischer Sprache gedruckt worden waren. Das alles machte die Bibliothek zu einem internationalen Forschungszentrum nicht nur zu Shakespeare, sondern zur frühen
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