Der Bourne Befehl
konnte sich aber gerade noch an einem Regenrohr festhalten. Die Polizisten hatten den Toten offensichtlich gefunden. Man hörte aufgeregte Stimmen, einer rief etwas in ein Walkie-Talkie, zweifellos um das Morddezernat zu verständigen. Boris erstarrte – ihm war klar, dass er nicht lange hier bleiben konnte. Früher oder später würde jemand versuchen, das Fenster zu öffnen, und dann würde die Glasscheibe herausfallen.
Er blickte nach links, wo der Sims bis zur Hausecke verlief. Dann fasste er das Regenrohr mit beiden Händen und beugte sich vor, um zu sehen, was dahinter war. Sein Herz machte einen Sprung; er sah ein kleines architektonisches Detail – eine Nische, die wahrscheinlich groß genug war, um ihn zu verbergen.
Er war nicht allzu hoch über dem Boden, doch hinunterzuspringen kam nicht infrage. Jeden Moment konnte die Polizei in der Gasse auftauchen. Es überraschte ihn ohnehin, dass sie nicht schon da war.
Er umfasste das Rohr noch fester und drehte sich zur Hausmauer. Dann lehnte er sich mit dem Oberkörper gegen das Rohr und schwang das linke Bein auf den Sims auf der anderen Seite. Doch jetzt kam der wirklich schwierige Teil. Er musste sein Gewicht vom rechten auf das linke Bein verlagern und würde in diesem Moment keinen richtigen Halt haben. Während er noch überlegte, wie er am besten vorging, löste sich die Fensterscheibe und fiel klirrend und scheppernd auf die Mülltonnen. Jetzt oder nie!
Er verlagerte sein Gewicht, drückte sich gegen das Regenrohr und schwang sich hinüber. Ein kurzes, scharfes Geräusch, dann noch eines. Er blickte hinunter. An zwei Stellen hatte sich die Befestigung des Regenrohrs gelöst. Das Rohr schwang ein Stück nach hinten, und einen furchtbaren Moment lang glaubte Boris abzustürzen. Doch dann verlagerte er sein Gewicht ganz nach links, sodass er mit beiden Beinen auf dem Sims stand und sich in die Nische zwängen konnte. Keinen Moment zu früh. Von beiden Seiten kamen Polizisten in die enge Gasse gestürmt.
ZWÖLF
Bourne erwachte noch vor dem Morgengrauen. Die Winkel des Wohnzimmers waren noch von den Schatten der Nacht verdunkelt. Rosie hatte den bequemen Lehnstuhl mit einem Laken bezogen und ein Kissen darauf gelegt, das nach Kiefern duftete. Einen Moment lang saß Bourne reglos da. Er hatte wieder von der Disco geträumt, von den grellen Lichtern, dem wummernden Bass und der Frau in der WC-Kabine. Doch statt die Pistole auf ihn zu richten, zeigte sie mit dem Finger auf ihn. Sie war auch nicht mehr blond und blauäugig, sondern schwarzhaarig mit braunen Augen. Es war Rosie. Rosie hatte den Mund aufgemacht, um ihm etwas zu sagen, etwas Wichtiges, das wusste er mit einer Sicherheit, wie es sie nur in Träumen gibt. Dann schreckte er aus dem Schlaf hoch.
War da ein Geräusch? Hatte sich etwas bewegt? Er blickte sich um, doch um ihn herum war alles still.
Was war es dann?
Er stand auf und streckte seine verkrampften Muskeln. Als er mit seinen täglichen Übungen begann, wusste er plötzlich, was ihn geweckt hatte.
Es war das Geräusch eines Motors, noch weit entfernt, das in seinen Schlaf eingedrungen war und ihn zurück in die Gegenwart hier in Kolumbien geholt hatte. Er griff sich ein Tranchiermesser aus dem Regal auf der Arbeitsplatte und ging hinaus in die Kälte. Es hatte zu regnen aufgehört, silbrige Nebelschwaden hingen in der Luft und zogen träge durch die Baumwipfel. Im Osten wich das dumpfe Grau widerstrebend einer zarten Morgenröte. Hinter dem Haus standen zwei ramponierte alte Jeeps, die aussahen wie aus dem Zweiten Weltkrieg.
Das Geräusch wurde allmählich lauter.
Bourne neigte den Kopf auf die Seite und lauschte angestrengt. Und da war es – schwach noch, aber unverkennbar: wop-wop-wop .
Er drehte sich um und wollte schon zurück ins Haus laufen, als Vegas mit einem Startrohr für eine Strela-2-Luftabwehrrakete herauskam, die von der Schulter aus abgefeuert werden konnte.
Bourne lachte. »Also, du hast nicht übertrieben, du bist wirklich gerüstet.«
»Ich habe nicht nur mich selbst zu verteidigen«, sagte Vegas. »Es geht auch um Rosie.«
Sie wandten sich nach Norden, und einige atemlose Augenblicke später tauchte der Helikopter aus dem Nebel auf. Während Vegas das Startrohr auf die Schulter stützte und durch das Visier spähte, pfiff auch schon Maschinengewehrfeuer über ihre Köpfe hinweg.
»Perfekt!«, sagte Vegas und drückte den Abzug.
Die Lenkwaffe schoss mit einem Knall hervor, der von den Bergen widerhallte. Der
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