Der Bourne Befehl
Brust durch die Halle, die Hände an den Pistolen. Die Anspannung stieg. Auch Rosie wirkte nun nervös.
»Ich habe den Tamarindenbaum draußen gesehen«, sagte Bourne, »und das Kreuz auf dem Grab.«
»Wir reden nicht davon«, erwiderte Vegas zitternd.
»Mi amor, cálmate.« Rosie küsste ihn auf die Wange. »Er konnte es ja nicht wissen.«
»Ich wollte nicht …«
Rosie hob abwehrend die Hand. »Du konntest es nicht wissen«, wiederholte sie grimmig. Sie sah Vegas mit einem schwachen Lächeln an, das zitterte wie eine Kerzenflamme im Wind, ehe sie sich wieder Bourne zuwandte. »Unser Sohn wurde nur neun Tage alt, doch ich sah die ganze Welt in seinen Augen.« Eine Träne rollte ihr über die Wange, die sie rasch mit dem Handrücken wegwischte. »So ist das bei Kindern, wenn sie noch nicht von der Welt der Erwachsenen verdorben sind.«
»Sein Tod war ein einziges Geheimnis«, presste Vegas mühsam hervor, so als würde ihm jedes Wort große Schmerzen verursachen. »Aber was weiß ich schon? Nur, wo ich gestern war und heute bin. Ich weiß nicht, wo ich hingehen werde.«
»Man muss sie beschützen, die Kinder«, warf Rosie ein. Was Vegas gerade gesagt hatte, schien ihr sehr nahegegangen zu sein.
Die Polizisten waren nur noch wenige Schritte entfernt.
»Du hast vielleicht noch Gelegenheit, ein anderes Kind zu beschützen«, meinte Bourne.
Beide starrten ihn mit großen Augen.
»Aber der Arzt hat gesagt …«, erwiderte Rosie.
»Das war ein Arzt in einem abgelegenen Dorf in Kolumbien. Es gibt Spezialisten in Sevilla, in Madrid. Ich an eurer Stelle würde die Hoffnung nicht aufgeben.«
Die beiden Polizisten schritten vorbei. Ihre Augen schweiften über die Touristen – den Mann im Rollstuhl, den sie für einen amerikanischen Kriegsveteranen hielten, den alten Mann mit dem dämlichen Spruch auf dem T-Shirt, der sie zum Lachen brachte. Aber am interessantesten fanden sie die Frau mit den wohlgeformten Brüsten und den langen Beinen, deren sinnliche Ausstrahlung ihnen den Atem raubte.
Und dann, so wie eine Gewitterwolke sich verzieht, waren sie weg, und die ganze Abflughalle schien erleichtert aufzuatmen.
Maggie – Skara sah sich inzwischen als Maggie, so sehr identifizierte sie sich mit ihrer Rolle – wusste, dass sie ihren täglichen Bericht an Benjamin El-Arian abzuliefern hatte. Sie lag im Bett – nur ein dünnes Laken bedeckte ihren nackten Körper – und blickte auf das verschlüsselte Handy, das sie für ihre Kommunikation mit El-Arian benutzte. Dann wandte sie sich ab und blickte in das blassgoldene Licht des Morgens, das durch die Vorhänge in ihr Schlafzimmer flutete. Um diese Zeit war es so still, dass man das Licht fast knistern hörte, so als wäre es das Einzige, was sich bewegte, während die Sonne am Himmel hochstieg und die Dunkelheit vertrieb.
Es gab so viel, das ihr im Moment durch den Kopf ging – auch einige widersprüchliche Gedanken. Vor allem aber wusste sie, dass sie nicht mit Benjamin sprechen wollte. Er zog sie zurück in ein Leben, für das sie sich zwar selbst entschieden hatte, aber keineswegs freiwillig.
Es war schon seltsam, wie einen die Erfordernisse des Lebens zu Entscheidungen zwangen. Es war eine Illusion, sich einzubilden, dass man wirklich eine Wahl hatte. Das Leben war ein einziges Chaos; jeder Versuch, dieses Chaos zu beherrschen oder auch nun in Grenzen zu halten, musste mit Tränen enden.
Sie hatte so viele Tränen geweint, dass es für mehrere Leben gereicht hätte. Nachdem sie mit ihren beiden Schwestern im Leichenhaus um ihre Mutter geweint hatte, schwor sie sich, nie wieder auch nur eine Träne zu vergießen. Und sie hatte sich daran gehalten, bis gestern Nacht. Was hatte Christopher Hendricks an sich, das ihre Entschlossenheit erschüttert hatte? Sie war stundenlang wach gelegen und hatte über diese Frage nachgedacht, während sie seine Gegenwart immer noch in sich spürte wie ein Fieber, das sie erfasst hatte. Immer wieder hatte sie sich zurückerinnert, an jedes Wort und jede kleine Geste, wie ein Obdachloser, der im Müll wühlt.
Gegen vier Uhr morgens gab sie es schließlich auf, drehte sich zur Seite, schloss die Augen und löste sich von diesen Gedanken, indem sie – wie sie es oft machte – an ihre beiden Schwestern dachte. Mikaela war tot, ihr Drang nach Rache hatte sie das Leben gekostet, aber Kaja lebte, wenngleich sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatten, so wie es vereinbart war. Maggie stellte sich vor, sie könnte wieder mit ihrer
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