Der Bourne Betrug
»Verbergen ⦠?«
Dr. Sunderland zog eine exquisit gearbeitete Geldbörse aus Krokodilleder heraus, entnahm ihr einen Hundertdollarschein und hielt ihn hoch. »Ich wette, dass die Erinnerungen kurz nach der Beisetzung Ihrer Frau eingesetzt haben. Die Wette gilt allerdings nicht, wenn Sieâs vorziehen, nicht die Wahrheit zu sagen.«
»Was sind Sie â ein menschlicher Lügendetektor?«
Dr. Sunderland zog es klugerweise vor, darauf nicht zu antworten.
»Stecken Sie Ihr Geld weg«, sagte Bourne schlieÃlich. Er seufzte. »Sie haben natürlich recht. Die bruchstückhaften Erinnerungen haben an dem Tag angefangen, an dem ich Marie zum letzten Mal gesehen habe.«
»Welche Form haben sie angenommen?«
Bourne zögerte. »Ich habe auf sie hinabgesehen â als sie aufgebahrt war. Ihr Vater und ihre Schwester hatten sie bereits identifiziert und von einem Bestattungsunternehmen holen lassen. Ich habe auf sie hinuntergeblickt ⦠und sie gar nicht gesehen â¦Â«
»Was haben Sie denn gesehen, Mr. Bourne?« Dr. Sunderlands Stimme klang sanft, unbeteiligt.
»Blut. Ich habe Blut gesehen.«
»Und?«
»Na ja, es gab kein Blut. Nicht in der Realität. Das war eine Erinnerung, die plötzlich aufgetaucht ist â ohne Vorwarnung, ohne â¦Â«
»So passiertâs immer, nicht wahr?«
Bourne nickte. »Das Blut ⦠Es war frisch, glänzend, im Licht der StraÃenlampen bläulich. Das Blut bedeckte dieses Gesicht â¦Â«
»Wessen Gesicht?«
»Das weià ich nicht ⦠Eine Frau ⦠aber es war nicht Marie. Es war ⦠jemand anders.«
»Können Sie diese Frau beschreiben?«, fragte Dr. Sunderland.
»Das istâs eben. Ich kann sie nicht beschreiben. Ich weià nicht, weshalb nicht ⦠Und trotzdem kenne ich sie. Ich weiÃ, dass ich sie kenne.«
Nun entstand eine Pause, in die Dr. Sunderland scheinbar zusammenhanglos eine weitere Frage einwarf. »Sagen Sie mir, Mr. Bourne, welches Datum haben wir heute?«
»Ein Gedächtnisproblem habe ich nicht.«
Dr. Sunderland nickte gelassen. »Tun Sie mir den kleinen Gefallen.«
»Donnerstag, dritter Februar.«
»Vier Monate seit der Beerdigung, seit Erinnerungen Ihnen zusetzen. Warum haben Sie so lange gewartet, bis Sie ärztliche Hilfe aufgesucht haben?«
Erneut entstand eine Pause, diesmal etwas länger. »Vergangene Woche ist etwas passiert«, sagte Bourne schlieÃlich. »Ich habe ⦠ich habe einen alten Freund gesehen.« Alex Conklin, der in der Old Town von Alexandria, in der er mit Jamie und Alison zu ihrem voraussichtlich für längere Zeit letzten Ausflug unterwegs war, eine StraÃe entlangging. Sie kamen gerade aus einem Baskin-Robbins, die Kinder mit riesigen Eiswaffeln in den Händen, und da stand Conklin in LebensgröÃe vor ihnen. Alex Conklin, sein Mentor, der Erfinder seiner Identität als Jason Bourne. Wo er heutzutage ohne Conklin wäre, konnte er sich unmöglich vorstellen.
Dr. Sunderland legte den Kopf leicht schief. »Das verstehe ich nicht.«
»Dieser Freund ist vor drei Jahren gestorben.«
»Und Sie haben ihn trotzdem gesehen.«
Bourne nickte. »Ich habe seinen Namen gerufen, und als er sich umgedreht hat, hat er etwas in den Armen gehalten â eigentlich jemanden. Eine blutende Frau.«
»Ihre blutende Frau.«
»Ja. In diesem Augenblick dachte ich, ich sei kurz davor, den Verstand zu verlieren.«
Da hatte er beschlossen, die Kinder wegzuschicken. Jamie und Alison waren jetzt bei Maries Vater und ihrer Schwester in Kanada auf der ungeheuer groÃen Ranch der Familie. Das war besser für sie, obwohl sie Bourne schrecklich fehlten. Für sie wäre es schlimm gewesen, ihn in seinem gegenwärtigen Zustand zu sehen.
Wie viele Male hatte er seit damals von den Augenblicken geträumt, die er am meisten fürchtete? Er sah sich, wie er auf Maries blasses Gesicht hinabblickte, wie er ihre Sachen aus dem Krankenhaus abholte und wie er mit dem Direktor neben sich in einem schwach beleuchteten Raum des Bestattungsunternehmens stand und auf Marie hinuntersah, deren wächsernes, stilles Gesicht ein Make-up trug, das sie niemals benutzt hätte. Ãber sie gebeugt, hatte er stumm eine Hand ausgestreckt, und der Direktor hatte ihm ein Taschentuch gegeben, mit dem Bourne den Lippenstift und das
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