Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
die Götter ihre schützende Hand über ihn halten.«
Als das Essen kam, stellte er fest, dass sein Hunger verflogen war. Während er den kleinen Schädel hin und her drehte, dachte er an alles, was ihm und Rebekka hier in Mexiko widerfahren war: alles mehr oder weniger von Constanza Camargo initiiert. Dann ging ihm noch etwas durch den Kopf: Warum würde sich Harry Rowland in einem Schrank verstecken, wenn er nicht gewusst hatte, dass sie kommen würden? Aber wie hatte er so genau wissen können, wo sie sich gerade befanden?
Bourne betrachtete den Totenschädel, und er dachte an andere Götter: die Götter der Technologie. Er legte den Schädel auf den Tisch und zertrümmerte ihn mit der Faust. Sorgfältig begann er die Bruchstücke zu untersuchen und fand schließlich den winzigen Tracker, der darin verborgen gewesen war. Er ließ ihn zwischen den Überresten des Schädels liegen, ohne ihn zu zerstören. Er wollte, dass das Signal weiter gesendet wurde, als hätte er den Tracker nie gefunden.
Er stand auf, bezahlte für das Essen, das er nicht angerührt hatte, und verließ die Erste-Klasse-Lounge, um sich auf dem Parkplatz ein passendes Auto zu suchen und zurück in die Stadt zu fahren.
»Es gibt immer Wege, am Leben zu bleiben, nachdem man gestorben ist.« Don Fernando Herrera lachte, als er Marthas Gesicht sah. »Das ist ein möglicher Weg.«
Der Pilot war mit dem Privatjet auf einem weiten Feld südlich von Paris gelandet. Es gab keine Lande bahn, keinen Windsack, keine Zollkontrollen. Das Flug zeug war vom Flugplan abgewichen und nun für die Tower der Flughäfen Charles de Gaulle und Orly verschollen.
»Es gibt keine Zauberer auf der Welt, Martha. Nur Illusionskünstler«, sagte Herrera. »Es geht darum, die Illusion des Todes zu erzeugen. Dafür brauchen wir ein echt aussehendes Unglück, und deshalb sind wir hier gelandet, wo niemandem etwas passiert.«
»Diese Leichen im Flugzeug«, sagte Martha, »die sind aber echt.«
Herrera nickte und reichte ihr eine Mappe.
»Was ist das?«
»Schau rein.«
Sie öffnete die Mappe und sah die forensischen Berichte von drei Toten, aus dem Wrack des Flugzeugs geborgen, das noch nicht abgestürzt war. Die drei Toten waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, aber durch ihre Zahnprofile identifiziert. Laut den Unterlagen war einer von ihnen Herrera, die beiden anderen der Pilot und der Copilot.
Martha sah ihn ungläubig an. »Was ist mit ihren Familien? Was wirst du ihnen sagen?«
Herrera deutete mit einem Kopfnicken auf die beiden Männer, die aus dem Jet ausstiegen, dessen Triebwerke immer noch liefen. »Sie haben keine Familien, deshalb haben wir sie engagiert.«
»Aber wie …?«
»Ich habe Freunde im Élysée-Palast, die die Unfallstelle kontrollieren werden.«
Der Pilot trat zu Herrera. »Die drei Leichen sind auf ihren Plätzen«, sagte er. »Wir können jederzeit anfangen.«
Herrera schaute auf seine Uhr. »Wir sind jetzt sieben Minuten verschollen. Okay, fangen Sie an.«
Der Pilot nickte und wandte sich seinem Kollegen zu, der etwas abseits stand. Der Copilot hielt eine kleine schwarze Box in der Hand. Als er einen Knopf drückte, heulten die Triebwerke auf. Ein weiterer Knopfdruck löste die Bremsen: Der Jet setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, beschleunigte zusehends und krachte schließlich in die Baumreihe am anderen Ende des Feldes. Ein Höllenlärm brach los, der Boden erzitterte, und ein schwarz-roter Feuerball blähte sich zum Himmel empor.
»Gehen wir«, sagte Herrera und führte die drei zu einem großen Allrad- SUV , der am Rand des Feldes wartete.
Der Cementerio del Tepeyac und vor allem die Basilica de Guadelupe sahen bei Tageslicht ganz anders aus. Sie hatten alles Unheimliche verloren und zeigten eine dünne Fassade der Religiosität, hinter der sich zweifellos viele Sünden – lässliche und Todsünden – verbargen.
Bourne stellte seinen gestohlenen Wagen etwa hundert Meter entfernt ab und nahm sich einige Minuten, um die Umgebung zu erkunden. Der Leichenwagen war nicht da, der ihn und Rebekka zur Werkstatt von Diego de la Rivera, Maceo Encarnacións Schwager, gebracht hatte. Auch der mysteriöse Pseudo-Priester El Enterrador war nicht zugegen. Bourne erinnerte sich an die Tätowierungen – die Särge und Grabsteine – auf seinen Unterarmen.
Schließlich betrat er die Basilika und wurde von Weih rauchduft und engelhaften Stimmen empfangen. Die Messe hatte begonnen. Bourne ging zur Apsis und durch den schummrigen Gang zum
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