Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
Pfarrhaus.
Mitten im Gang blieb er stehen, als er Stimmen aus dem kleinen Büro hörte. Eine war eine weibliche Altstimme. Vorsichtig ging er weiter und erhaschte einen Blick ins Pfarrhaus mit einem riesigen Christus am Kreuz. Wenige Augenblicke später kam die Frau mit der Altstimme in sein Blickfeld. Überrascht erkannte er die schöne junge Frau, die in Maceo Encarnacións Villa die Treppe heruntergekommen war und an der Bahre der Toten geweint hatte, die wohl ihre Mutter war. Er erinnerte sich wieder, wie seltsam es ihm erschienen war, dass sie als Dienstbotin aus der Suite des Hausherrn gekommen war, nackt unter dem kostbaren Morgenmantel. Etwas später war sie wieder nach oben gegangen, wo Maceo Encarnación vermutlich im Bett lag.
Was tat sie hier? Bourne machte einen Schritt zur Seite, und sein Blick folgte Maria-Elenas Tochter, die sichtlich aufgewühlt durch den Raum schritt. Die junge Frau blieb abrupt vor einer Gestalt in Robe und Kapuze stehen. El Enterrador, sein Spitzbart verriet ihn.
»Sprich mich von meinen Sünden frei«, sagte sie leise. »Ich habe schreckliche Gedanken … ich will jemanden töten.«
»Sind es nur Gedanken, oder hast du auch etwas getan?«, fragte er in rauem Flüsterton.
»Nein, aber …«
»Dann wird alles gut, Anunciata.«
»Das kannst du nicht wissen.«
»Warum?«
»Weil du nicht weißt, was ich weiß«, erwiderte sie bitter.
»Dann sag es mir«, verlangte El Enterrador mit drohendem Unterton.
Sie zögerte einen Augenblick, dann atmete sie tief durch.
»Ich habe Maceo vertraut. Ich dachte, er liebt mich«, sagte sie mit veränderter Stimme, tiefer und dunkler.
»Du kannst ihm vertrauen. Er liebt dich wirklich.«
»Hier – das Vermächtnis meiner Mutter.« Sie faltete ein Blatt Papier auseinander und hielt es ihm hin. »Maceo hat mit meiner Mutter geschlafen, bevor er mit mir ins Bett ging. Er ist mein Vater.«
El Enterrador griff sich an den Kopf. »Mein Kind«, begann er, ganz so als wäre er ein richtiger Priester. »Wir wurden einst aus dem Garten Eden verstoßen, das ist unser gemeinsames Erbe. Wir sind alle Sünder in einer sündigen Welt. Die Verbindung deiner Eltern war ein Fehler, aber sie haben dir trotzdem das Leben gegeben.«
»Und wenn das Schlimmste passiert, wenn ich von ihm schwanger werde?«
»Natürlich müssen wir dafür sorgen, dass das nicht geschieht.«
»Ich könnte ihm die Eier abschneiden«, sagte Anunciata bissig. »Das würde mich glücklich machen.«
»Ich kenne deine Mutter, seit sie nach Mexico City gekommen ist. Sie hat bei mir gebeichtet. Ich habe ihr vielleicht durch manch schwere Zeit geholfen, denn sie brauchte Rat und wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte. Und jetzt kommst du zu mir, um Hilfe und Rat zu finden. Geh zu deinem Vater. Sprich mit ihm.«
»Aber was wir getan haben!« Anunciata schauderte. »Das ist eine scheußliche Sünde. Das musst du doch am besten wissen.«
»Wo ist Maceo jetzt?«
»Du weißt es nicht? Er ist fort. Er ist mit Rowland zum Flughafen gefahren.«
»Wo wollen sie hin?«, fragte Bourne, als er ins Pfarrhaus trat.
Anunciata und El Enterrador wandten sich ihm zu und starrten ihn an. Der Priester war überraschter als sie, ihn zu sehen. Die junge Frau wirkte nur neugierig.
»Wer sind Sie, Señor?«
»Rebekka und ich waren heute Morgen in der Villa.«
»Warum …?«
Doch Bourne wandte sich bereits von ihr ab. »Warum ich nicht am Flughafen bin? Das denken Sie doch, oder?«
»Woher soll ich …?«
»Der kleine Totenschädel, den Sie mir gegeben haben. Ich habe den Sender gefunden.«
El Enterrador zog ein langes Stilett unter der Robe hervor, doch Bourne schüttelte nur den Kopf und richtete die Pistole auf ihn, die er Maceo Encarnacións Wächter abgenommen hatte. »Messer weg, Totengräber.«
Anunciatas Augen öffneten sich weit. Sie sah sogar noch schöner aus als zuvor im Haus. »Er ist Priester. Warum nennen Sie ihn ›Totengräber‹?«
»Das ist sein Spitzname: El Enterrador .« Bourne deutete mit einer Kopfbewegung auf ihn. »Zeig ihr deine Tätowierungen auf den Unterarmen, Priester.«
»Tätowierungen?«, rief Anunciata verblüfft.
Er schwieg, ohne sie anzusehen.
Sie zog rasch den Ärmel seiner Robe hoch und hielt den Atem an, als sie die kunstvollen Abbildungen sah.
»Was ist das?« Es war nicht klar, wen sie ansprach.
»Sag’s ihr, Totengräber«, forderte Bourne ihn auf. »Ich würde es auch gern hören.«
El Enterrador funkelte ihn an. »Du hättest nicht
Weitere Kostenlose Bücher