Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
Nicodemo nahm das Handy vom Ohr.
»Ich weiß nicht, ob sie gesprungen ist oder gestoßen wurde«, fuhr er fort, nachdem Maceo Encarnación den ersten Schock und Zorn überwunden hatte. »Es tut mir wirklich leid, aber es gibt andere Dinge, um die wir uns kümmern müssen. Martha Christiana hat gelogen: Herrera ist nicht tot … Ich weiß, ich bin zu … aber er steht hier in voller Lebensgröße … Natürlich bin ich mir sicher, dass er es ist.«
Nicodemo hörte einige Sekunden zu, was Maceo Encarnación ihm zu sagen hatte. »Willst du wirklich, dass ich das tue?«, fragte er schließlich.
Es kam eine harsche Antwort, während Nicodemo bereits überlegte, wie er den Auftrag anpacken würde, den Encarnación ihm gegeben hatte.
»Es muss sein«, schloss Maceo Encarnación seine Instruktionen. »Du hast vierundzwanzig Stunden. Wenn du bis dahin nicht zurück bist, fliege ich ohne dich. Alles klar?«
»Absolut«, antwortete Nicodemo. »Ich bin sicher rechtzeitig da. Verlass dich drauf.«
Er trennte die Verbindung, steckte das Handy ein und ging zurück zum Tatort. Martha Christiana war in den Krankenwagen verfrachtet worden, während Herrera immer noch mit den Kripobeamten sprach. Er redete, sie nickten. Einer machte sich Notizen, so schnell er konnte.
Nicodemo zog eine Zigarette hervor, zündete sie an und rauchte gelangweilt, während er das Geschehen beobachtete. Als die Kripoleute endlich mit Herrera fertig waren, gaben sie ihm ihre Karten, und Herrera ging zum Haus zurück. Nicodemo beobachtete, wie er auf der Eingabetafel bei der riesigen Holztür einen vierstelligen Code eintippte.
Er wartete, bis die Ermittler weg waren und sich die Menge der Schaulustigen aufzulösen begann, ehe er sich der Haustür zuwandte. Die Eingabetafel enthielt zehn erhabene Tasten von eins bis null. Er zog ein kleines Fläschchen hervor und blies ein feines weißes Pulver auf die Tasten. Das Pulver blieb an den Fettspuren haften, die Herreras Finger hinterlassen hatten, und hob vier weiße Tasten hervor. Bei der dritten Kombination, die er eintippte, öffnete sich das Türschloss, und er trat ein.
Einen Moment lang stand er in dem gepflasterten Innenhof, in dem in vergangenen Jahrhunderten Pferdekutschen mit ihren Passagieren angekommen waren und livrierte Diener den feinen Herrschaften aus der Kutsche geholfen hatten. Heute hatte das Haus viele Bewohner, doch ein Hauch von Geschichte war immer noch zu spüren.
Zwei Frauen, eine jung, die andere älter, standen im Hof und unterhielten sich über die Tragödie. Die Ältere rauchte eine Zigarette. Nicodemo zog ebenfalls eine Zigarette hervor, trat zu den beiden Frauen und bat um Feuer.
»Schrecklich so was«, sagte die Jüngere schaudernd. »Wer kann da noch ruhig schlafen?«
»Und die vielen Leute, die nichts Besseres zu tun haben, als zu gaffen«, warf die Ältere kopfschüttelnd ein.
Nicodemo nickte beifällig. »Warum stürzt sich jemand einfach so aus dem Fenster?«, fragte er sich laut.
»Wer weiß das schon?« Die ältere Frau zuckte mit ihren fleischigen Schultern. »Die Leute sind verrückt, meine Meinung.« Sie nahm einen Zug von ihrer Zigarette. »Haben Sie die arme Frau gekannt?«
»Das ist lange her«, sagte Nicodemo. »Wir waren Jugendfreunde.«
»Sie muss sehr unglücklich gewesen sein«, meinte die ältere Frau mitfühlend.
Nicodemo nickte. »Ich dachte, ich könnte ihr helfen, aber ich bin zu spät gekommen.«
»Möchten Sie raufgehen?«, fragte die junge Frau, einem plötzlichen Einfall folgend.
»Ich will Señor Herrera nicht stören.«
»Oh, ich bin sicher, es wird ihm guttun, mit einem mitfühlenden Menschen zu sprechen.« Sie zog ihre Schlüssel hervor, ging zur Tür und öffnete sie.
Nicodemo bedankte sich und trat in das breite Treppenhaus. Die Stille im Haus war fast unheimlich, als würden alle vor Schreck den Atem anhalten. Niemand war auf der Treppe, die Wohnungstüren waren alle geschlossen, wie um sich gegen eine ansteckende Krankheit zu schützen.
Don Fernandos Stockwerk war ebenfalls verlassen und leer. Lautlos ging er über den Flur zur Wohnung. Er lauschte, hörte aber nichts.
Dann legte er das Ohr an die Tür.
In der Wohnung nahm Don Fernando noch den abgestandenen Geruch der Kleider der Polizisten und Kripobeamten wahr. Es kam ihm vor, als wäre jemand bei ihm eingebrochen. Er wollte nichts anderes riechen als Martha Christianas charakteristischen Duft, umso mehr störte ihn dieses Eindringen in seine Privatsphäre. Stocksteif
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