Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
stand er da und versuchte, seine Gedanken von seinen Gefühlen zu trennen.
Er war verantwortlich für Martha Christianas Tod, daran bestand für ihn kein Zweifel. Er hatte sie manipuliert und letztlich in ein Dilemma gebracht, aus dem sie keinen Ausweg fand. Dass er extrem behutsam vorgegangen war, hatte am Ende keinen Unterschied gemacht. Letztlich hatte sie sich weder für ihn noch für Maceo Encarnación entscheiden können. Und so entzog sie sich ihrer Zwangslage auf ihre Weise. Vielleicht war das von Anfang an ihr Schicksal gewesen, als sie aus ihrem lieblosen Zuhause geflüchtet war. Auf ihrer langen Reise gelang es ihr nie, ihre Fesseln abzustreifen, bis sich ihr Schicksal nun in dieser Wohnung auf der Île Saint-Louis erfüllte.
Vielleicht wäre es auch ohne sein Eingreifen so gekommen, doch das konnte er sich nicht einreden. Er ging langsam im Kreis und spürte ihren Verlust wie einen Schatten über diesen vertrauten Räumen, als gäbe es plötzlich ein zusätzliches Zimmer, das ihm nie aufgefallen war und das etwas enthielt, das ihm Angst machte.
Er vergewisserte sich noch einmal, dass er allein war, obwohl ihm sein Verstand sagte, dass niemand außer ihm hier sein konnte. Dann tappte er leise ins Badezimmer, ging in die Knie und zog Martha Christianas Handtasche aus dem schmalen Spalt zwischen der Klauenfußbadewanne und dem Fliesenboden, wo er sie versteckt hatte, bevor die Polizei gekommen war.
Er klappte den Toilettendeckel herunter, setzte sich darauf und stellte die Handtasche auf seine Oberschenkel. Einige Minuten saß er so da, erkundete mit den Fingern das weiche Leder, die Nasenflügel gebläht, um ihren Duft einzusaugen, der aus der Tasche aufstieg und ihm Tränen in die Augen trieb.
Er hatte zwar aus Selbsterhaltungstrieb gehandelt, doch er hatte Martha ehrlich gemocht. Sie hatte ihm außerdem leidgetan mit ihrem Dilemma, in dem sie steckte. Aber was hatte er letztlich erreicht, außer dass er sie in den Tod getrieben hatte?
Er seufzte und hob abrupt den Kopf. Ihm war, als hätte er ein Geräusch gehört, und er lauschte, wie um die leisen Schritte ihrer nackten Füße zu hören, so als würde sie noch leben und als wären die letzten Stunden nur ein böser Albtraum gewesen, aus dem er soeben erwacht war. Dann blickte er hinunter und wusste mit absoluter Klarheit, dass die Handtasche in seinen Händen alles war, was von ihr noch übrig war.
Langsam öffnete er sie und blickte mit einem seltsam beklemmenden Gefühl hinein. Er fand die üblichen Accessoires einer Frau: Lippenstift, Puderdose, Eyeliner, eine kleine Packung Taschentücher, ihre Brieftasche, erstaunlich dünn, als hätte sich der Inhalt genauso rasch verflüchtigt wie ihr Leben. Er öffnete sie kurz und fischte ihr Handy heraus.
Es war gesperrt, doch er kannte viele Dinge, die sie gemocht hatte, und probierte es mit einigen, bis er das richtige Wort erwischte. Das Handy öffnete sich für ihn, wie es das so oft für sie getan hatte. Dass diese Tür für ihn aufging, bewegte ihn zutiefst. Es war, als würde sie ihm Zugang zu ihrem Inneren gewähren.
» Mea culpa , Martha«, sagte er. »Ich wünschte, du wärst hier.«
Draußen vor der Tür hörte Nicodemo diese Worte, als sie durch die Wohnung schwebten, und er drückte sein Ohr noch fester an die Tür. So fest, dass das alte Holz knarrte.
Er erstarrte und hielt den Atem an.
Don Fernando hob abrupt den Kopf, wie ein Hund, der Witterung aufgenommen hatte, und sein Körper begann zu zittern. Das Knarren an der Tür hatte wie ein Pfeil die Wohnung durchdrungen und sich wie eine Vorahnung des Todes in sein Herz gebohrt.
Er stellte Marthas Handtasche beiseite, stand auf und schritt durch das Badezimmer und das Schlafzimmer in den Wohnbereich hinüber. Dort stand er einige Augenblicke reglos und starrte die Wohnungstür an, die er abgeschlossen hatte, nachdem der letzte Kripobeamte gegangen war. Er betrachtete die Tür, als könnte sie ihm verraten, wer sich auf der anderen Seite befand.
Schließlich trat er lautlos zur Tür und hielt das Ohr an das alte Holz. Er hörte ein Atmen, aber ob es das Haus war oder jemand, der draußen stand, wusste er nicht. Ihn beschlich jedenfalls ein vages Gefühl der Bedrohung. Er hatte keine Pistole in der Wohnung, was ein Glück war, denn die Polizei hätte sie konfisziert, und es wäre der Verdacht aufgekommen, dass Martha Christianas Tod vielleicht kein Selbstmord war. Jetzt bedauerte er allerdings, nicht irgendwo an einem sicheren Platz
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