Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
mit dem Rücken zu der Sterbenden.
Schließlich stand Ann vom Bett auf. Sie ging zum Telefonieren hinaus, damit Li sie nicht hören konnte. »Natasha Illion ist tot. Li hat sie erstochen.«
»Haben Sie alles aufgenommen?« Hendricks schien schwer zu atmen.
Ann griff an den Mini-Rekorder an ihrer Taille. »Jeden Augenblick«, sagte sie. »Li gehört uns.«
»Wir gehen in den Landeanflug.«
Die Stimme des Piloten tönte aus der Sprechanlage, und Bourne öffnete die Augen. Er blickte durch das Cockpitfenster hinaus und sah nichts, nicht ein einziges Licht. Libanon, nahe der Grenze zu Syrien. Wüste. Berge in der Ferne. Der trockene Wind, der über die Landschaft fegte. Das Nichts.
Es war, als würde er nach Hause kommen.
29
Maceo Encarnación saß tief in Gedanken versunken in seinem Privatjet, mit dem Gefühl, wieder einmal jemanden zurückzulassen. Nach vielen anderen nun auch Nicodemo. Es war nicht sein richtiger Name, doch für Maceo war es der Name, mit dem er an ihn dachte. Er wusste nicht, ob Nicodemo tot war oder noch lebte, doch er verstand jetzt, warum er immer wieder fortgehen musste.
Es war einfacher, sich von jemandem zu trennen, wenn man selbst ging.
Tot oder lebend . Er dachte über diese Worte nach, während ihm ein dumpfes Gefühl in der Magengrube sagte, dass Nicodemo tot war. Es musste so sein: Der Tod war das Einzige, was ihn daran gehindert hätte, zum Flugzeug zurückzukehren.
Er hatte Nicodemo gemacht. Er war ganz und gar Maceo Encarnacións Geschöpf, im Gegensatz zu seiner Schwester. Maricruz hatte ihren eigenen Kopf. Nicodemo besaß durchaus seine Fähigkeiten, doch er war nicht die Persönlichkeit, wie seine Schwester es war. Maceo Encarnación liebte Maricruz auf eine Weise, wie er Nicodemo nie geliebt hatte. Nicodemo war ein Werkzeug, ein Mittel zum Zweck; Maricruz hingegen war etwas ganz Besonderes für ihn. Sie wusste, dass er ihr Vater war – Nicodemo nicht. Ihre Mutter kannten beide nicht.
Er schlief eine Weile und träumte von Constanza Camargo in der Gestalt einer Schlange; sie öffnete den Mund, ihre gespaltene Zunge flackerte hervor – Sinnbild für Schicksal und persönliche Wünsche –, und Maceo Encarnación – als kleiner Junge – wusste, dass er wählen musste. Schicksal oder Wünsche. Er hatte sich für das Schicksal entschieden und sich von allen persönlichen Wünschen befreit. Heute war es ihm geradezu ein Genuss, Menschen zurückzulassen, vergleichbar einem Schluck edlen gereiften Tequila.
Als er Stunden später erwachte, tauchte der Jet wie ein großer Adler zu dem Flugplatz am Rande der kleinen Stadt Rachaiya hinab. Er schnallte sich an und blickte aus dem Fenster. Das Wetter hatte sich geändert: Es lag Schnee, vom Wind verweht, und es schneite weiter aus dem grauen Himmel. Oberst Ben David hatte Wort gehalten: Einer der beiden AH-64- Apache-Helikopter unter seinem Kommando stand bereit, um ihn zum Mossad-Camp bei Dahr El Ahmar zu bringen.
Encarnación hob den Koffer auf, der mit einem Fingerabdruck-Schloss gesichert war. Während das Flugzeug aufsetzte und zum Hubschrauber rollte, öffnete er den Koffer, um einen letzten Blick auf die dreißig Millionen Dollar zu werfen.
Der Anruf kam, nachdem Soraya und Peter in ihrer Erschöpfung in einen tiefen Schlaf gefallen waren. Delia hatte einen Tag freigenommen, um sich um die beiden zu kümmern. Sie ging zu dem Tisch neben Sorayas Bett, nahm ihr Handy und sah, dass Minister Hendricks anrief.
Sie beugte sich über Soraya und schüttelte sie. Ihre Freundin erwachte nur langsam, und Delia küsste sie auf die Stirn. Soraya öffnete die Augen, und Delia hielt ihr das Handy so hin, dass sie Hendricks’ Namen auf dem Display lesen konnte.
»Mr. Secretary«, sagte Soraya förmlich.
»Soraya, geht es Ihnen gut?«
»Ja, Sir. Ich habe geschlafen.«
»Keiner hat mehr Recht auf seinen Schlaf als Sie, aber ich habe wichtige Neuigkeiten über Tom Brick. Sam Anderson hat ihn vor zwei Stunden festgenommen. Die Forensiker haben Spuren von Dick Richards’ Blut an seiner Hose gefunden.«
Soraya setzte sich im Bett auf. »Sir?«
»Brick ist bereit zu kooperieren. Er will nicht ins Gefängnis.«
»Er will einen Deal.«
»Ja, er hat uns den Täter verraten, den Mann, der Richards erstochen hat«, sagte Hendricks. »Aber das ist noch nicht alles. Sie erinnern sich doch an die mysteriösen gefälschten dreißig Millionen, die Peter entdeckt hat.«
»Natürlich, Sir.« Soraya hörte sich an, was Hendricks dazu
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