Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
Er war damals vier Jahre alt gewesen. Jahre später hatte er sein Computerwissen genutzt, um seinen Vater zu finden – doch der bestritt, ihn überhaupt gezeugt zu haben. Richards’ Stiefvater wiederum hatte keine andere Absicht verfolgt, als vom Geld der Mutter zu leben. Er hatte sich über sie lustig gemacht und sie nach Strich und Faden betrogen. Als Richards es seiner Mutter erzählte, weigerte sie sich, ihm zu glauben, und wurde regelrecht wütend. Sie warf ihm vor, ihren neuen Ehemann nicht zu akzeptieren. Da erkannte er, dass sie alles wusste, aber solche Angst vor dem Alleinsein hatte, dass sie sich immer tiefer in ihrer eigenen Realität vergrub.
Abrupt wandte er sich wieder dem Schreibtisch zu. Wenn er am Fenster stand, fühlte er sich wie ein Tier im Käfig, wie in einem Kerker der modernen Treadstone-Burg. Ihm war vage bewusst, dass es in Wahrheit sein eigenes Leben war, in dem er sich eingesperrt fühlte. Unbewusst hatte er die Einsamkeit seiner Mutter gewählt. Das vielfältige, faszinierende Internet war für ihn längst realer als irgendetwas in seinem Leben.
Er beugte und streckte die Finger und legte die Fingerspitzen auf die Tasten. Er musste sich etwas Konstruktiveres einfallen lassen. Sollte er Informationen über Nicodemo fabrizieren, die er seinen Direktoren präsentieren konnte, um ihre Gunst zu gewinnen? Er spürte seine alte Sehnsucht nach Vorgesetzten, die ihn wirklich verstanden, und schämte sich dieses Gefühls.
Er atmete tief durch. Konzentration , dachte er. Tu, was du am besten kannst, dann geht’s dir gleich besser . Im Labyrinth des Internets nach einem einzelnen Mann zu suchen war immer schwierig. Andererseits wusste er, dass niemand – nicht einmal ein Phantom – als einsame Insel existieren konnte. Er musste Partner haben, Freunde, Verwandte, wie jeder andere auch. Er selbst existierte vielleicht noch nicht im Web, doch sein Umfeld sehr wohl. Außerdem machte der Mann lukrative Geschäfte, wie aus den spärlichen Informationen hervorging, mit denen Richards arbeiten musste. Und Geld existierte nicht im luftleeren Raum: Es kam von irgendwoher und floss irgendwohin. Die Transaktionen mochten im Verborgenen ablaufen, aber sie existierten, und zwar online genauso wie in der wirklichen Welt. Doch dieser Nicodemo war ein Sonderfall, das war Richards inzwischen klar.
Aber das macht nichts, dachte er, während sein Herz schneller zu schlagen begann. Er würde einen ganz anderen Zugang finden zu diesem »unsichtbaren Wegbereiter«. Mit diesem Vorsatz wandte er sich wieder den dürftigen Informationshappen in der Akte zu und ging sie noch einmal durch, um einen Ansatz für seine Fantasiereise durch die Cyberwelt zu finden.
Wie von selbst begannen seine Finger über die Tasten zu fliegen. Wenige Augenblicke später war er in sein geliebtes virtuelles Universum eingetaucht.
3
»Das Problem ist, dass Sie geflogen sind.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Soraya kopfschüttelnd.
Dr. Steen blickte von den Unterlagen auf, die die Ergebnisse von Sorayas EEG und Kernspintomografie enthielten. »Sie haben sich in Paris verletzt, ist das richtig?«
»Ja.«
»Und Sie wurden auch dort behandelt.«
Sie nickte. »Das stimmt.«
»Hat man Ihnen nicht gesagt, dass es riskant ist, in ein Flugzeug zu steigen?«
Soraya spürte, wie ihr Herz galoppierte, als wäre es aus dem Brustkorb ausgebrochen und hinauf in die Kehle gestiegen. »Ich dachte, das wäre kein Problem.«
»Leider doch.« Dr. Steen drehte sich auf seinem Stuhl und schaltete einen LED -Monitor ein. Das Ergebnis der Kernspintomografie erschien auf dem Bildschirm. »Sie haben ein subdurales Hämatom«, erklärte der Arzt. »Eine Hirnblutung, Miss Moore.«
Soraya durchfuhr es eiskalt. »Ich hab doch schon eine Kernspintomografie gemacht, und da war nichts zu sehen.«
»Noch einmal«, sagte Dr. Steen, »es war das Fliegen.«
Er wandte sich wieder ihr zu, doch die Abbildung ihres Gehirns blieb auf dem Bildschirm, als beängstigende Erinnerung an ihren schlechten Gesundheitszustand.
Dr. Steen faltete die Hände auf dem Schreibtisch ineinander. Er war ein Mann mittleren Alters, der dem Haarausfall zuvorkam, indem er sich den Kopf glatt rasierte. »Vermutlich war dieser Riss sehr fein und deshalb auf der früheren MRT nicht zu sehen. Dann sind Sie geflogen, und …« Er öffnete die Hände.
Sie beugte sich vor, der Zorn verdrängte ihre Angst. »Wollen Sie damit andeuten, dass das alles meine Schuld ist?«
»Sie hätten
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