Der Bourne Verrat: Roman (German Edition)
das?«
»Wie hältst du dich bloß selbst aus?«
Er lachte dünn. »Es ist ein schmutziger Job, aber irgendjemand muss ihn machen.«
Sie musterte ihn argwöhnisch. »Wenn du mir etwas sagen willst, dann tu’s.«
»Wir haben jeder etwas gegen den anderen in der Hand«, sagte er achselzuckend. »Nur damit du’s nicht vergisst.«
»Es ist mir egal …«
»Aber Amy vielleicht nicht, hast du dir das schon mal überlegt? In ihrem Job muss man sehr aufpassen. Viele Eltern wollen ihre Kinder nicht von einer Lesbe unterrichten lassen.«
Delia überlegte, was sie sagen sollte, doch in diesem Augenblick rollten ein paar Schwestern mit ernsten Gesichtern Soraya aus dem Aufwachraum und den Gang hinunter zur Intensivstation. Danach herrschte einige Augenblicke Stille.
»Also Waffenstillstand«, sagte Thorne schließlich.
Delia wandte sich ihm zu. »Hast du es irgendwann auch nur einen Moment lang ehrlich mit Soraya gemeint?«
»Sie ist eine echte Kanone im Bett.«
»Was soll das? Reicht dir Ann nicht?«
»Ann hat Sex mit ihrem Job. Ansonsten ist sie kalt wie ein Fisch.«
»Du tust mir wirklich leid«, ätzte sie.
Er sah sie mit einem wölfischen Lächeln an. »Du mir auch.« Er fasste sich zwischen die Beine. »Du weißt gar nicht, was du verpasst.«
Maceo Encarnación blickte aus dem Fenster seines Jets, der vor der Landung über Mexico City kreiste, auf die braune Dunstglocke hinaus, die stets wie ein schmutziger Teppich über der Großstadt hing: eine Folge der geografischen Lage sowie der ungezügelten Emissionen der modernen Industriegesellschaft. Auf den Ruinen der großen Azteken-Stadt Tenochtitlán erbaut, schien die Stadt an ihrer eigenen Zukunft zu ersticken.
Das Erste, was er einatmete, als er aus dem Flugzeug stieg, war der Geruch von menschlichen Ausscheidungen, die als Dünger eingesetzt wurden. Auf den Straßenmärkten, wo Obst und Gemüse auf dem Boden ausgelegt waren, pinkelten und schissen Hunde und Kleinkinder auf die dargebotenen Waren.
Encarnación stieg in einen schwarzen SUV , der losbrauste, kaum dass er es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht hatte. Sein prächtiges Haus im kalifornischen Kolonialstil, mit seinem Vorgarten und seinen kunstvoll getäfelten Treppenhäusern und Fluren, stand in der Calle Emilio Castelar im noblen Viertel Polanco. Nur etwa einen Kilometer vom Bosque de Chapultepec entfernt, war es aus blassgelbem Stein und Tezontle gebaut, dem einheimischen rötlichen Vulkanstein, der so vielen großartigen Gebäuden der Stadt ihren Charakter verlieh.
Der Boden, auf dem seine städtische Estanzia stand, war der teuerste in ganz Mexico City, doch das einflussreiche Nationale Institut der Schönen Künste, dem Encarnación nicht zufällig angehörte, verhinderte den Bau von Hochhäusern in der Gegend.
»Willkommen zu Hause, Don Maceo. Wir haben dich vermisst.«
Der Mann, der neben Encarnación saß, war klein und gedrungen, mit dunkler Haut, einer aztekischen Hakennase und mit Pomade geglättetem schwarzem Haar, das wie eine Pferdemähne aus seiner breiten Stirn nach hinten gekämmt war. Tulio Vistoso war einer der mäch tigsten Drogenbarone in Mexiko, fast jeder außer Encar nación nannte ihn den »Azteken«.
»Es gibt einiges zu besprechen, bei einem guten Tequila, Don Tulio«, sagte Encarnación freundlich, »und auch ein paar Neuigkeiten zu verdauen.«
Der Azteke war augenblicklich alarmiert. »Probleme?«
»Probleme gibt es immer. Die Frage ist, wie schwer sie zu beheben sind.«
Der Azteke brummte zustimmend. Er trug einen schwarzen Leinenanzug über einem kunstvoll gearbeiteten Guayabera-Hemd. An den Füßen trug er mahagonifarbene Huarache-Sandalen. Der Fahrer war Encarnacións Leibwächter, der bewaffnete Mann neben ihm gehörte zum Azteken.
Die Fahrt zu Encarnacións Haus brachten sie schweigend hinter sich. Beide Männer wussten um den Wert des Schweigens und hatten es sich angewöhnt, immer zur richtigen Zeit und am richtigen Ort über ihre Geschäfte zu sprechen. Sie waren beide keine impulsiven Menschen und handelten nie voreilig oder unüberlegt.
Die vertrauten Straßen und Plätze zogen laut und farbenfroh an ihnen vorüber. An den Stuckfassaden von Restaurants und Tavernen rankten sich Bougainvilleen hoch, die Busse spien ihre Abgase in die verschmutzte Luft. Sie kamen am Santo-Domingo-Platz vorbei, wo Lohnschreiber – Evangelistas genannt – auf alten Schreibmaschinen Liebesbriefe oder Beileidsbekundungen für die Analphabeten der Stadt schrieben.
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