Der Brander
herumschlichen.
Er sah seinen bulligen Bootsführer an und hob hilflos die Schultern.
»Ich frage mich selbst, was mit mir los ist«, sagte er entschuldigend. Allday nickte mit einem wissenden Lächeln. »Es ist das Warten, Sir, das macht einen fertig.«
»Kann sein.«
Wieder wandte Bolitho sich der Seekarte zu. Es war jetzt eine Woche her, seit
Vivid
eingelaufen und Tyrrell aus der Vergangenheit aufgetaucht war. Ohne Unterstützung durch ein zweites Schiff wagte Bolitho nicht, San Felipe sich selbst zu überlassen. Rivers’ Sympathisanten, für deren Existenz es immer noch genügend Beweise gab, mochten einen Gegenangriff starten. Bolitho konnte es ihnen nicht einmal verdenken, denn wenn die Franzosen erst eintrafen, mußten sie alle ihre Häuser und Plantagen verlassen. Vielleicht hatte Keen völlig recht gehabt: wenn Rivers gehenkt wurde, war der Rebellion die Spitze genommen.
Aber Rivers besaß einflußreiche Freunde in Amerika und in London. Auch wenn er Bolithos Meinung nach nur ein Pirat wie alle anderen war, mußte doch ein ordentliches Gerichtsverfahren in London stattfinden, damit die Seelords das auch beweisen konnten.
Außerdem – wenn Tyrrell recht hatte und der unbekannte Zweidekker einen Überfall auf San Felipe vorbereitete, dann wäre es Torheit gewesen, den Hafen ohne Schutz zu lassen.
Achates
hatte selbst bewiesen, wozu ein Schiff fähig sein konnte, wenn ein hoher Einsatz winkte.
Die Tür ging auf, und Adam betrat die Kajüte.
Seit ihrem Wiedersehen war eine Woche vergangen, und doch hatten sie nur wenige Worte gewechselt. Bolitho spürte, daß Adam etwas vor ihm verbarg. Oder vielleicht war er selbst zu beschäftigt und in Gedanken gewesen, um das Vertrauen des jungen Leutnants zurückzugewinnen?
»Signal von der Festungsbatterie, Sir«, meldete Adam. »Die Brigg
Electra
hält auf den Hafen zu und sollte binnen einer Stunde hier Anker werfen.«
»Danke, Adam.«
Bolitho erinnerte sich noch gut an ihren jungen Kommandanten, der ihm vom Auffinden der
Sparrowhawk-
Überlebenden berichtet hatte, übernommen von dem amerikanischen Handelsschiff. Napier, so hieß er. Er mußte jeden Fetzen Tuch gesetzt haben, wenn er inzwischen bis Antigua und dann westwärts nach San Felipe gesegelt war. Durfte er hoffen, daß
Electra
als Repräsentantin britischer Staatsgewalt im Hafen bleiben und die Aufsässigen in Schach halten würde? Sie war zwar nur eine kleine Brigg, segelte aber unter der gleichen Flagge wie
Achates.
Bolitho vermutete, daß vielen Inselbewohnern selbst ein länger anwesendes britisches Kriegsschiff noch lieber war als ein französisches oder spanisches, das aus dem unbewachten Zugang seinen Vorteil zog.
Er trat zu den Heckfenstern und beschattete seine Augen mit der Hand.
»Laß dem Kommandanten der
Electra
signalisieren, daß er sich gleich nach dem Ankerwerfen bei mir melden soll.«
Adam lächelte zurückhaltend. »Ich habe die Festung schon ersucht, dieses Signal an
Electra
weiterzugeben, Onkel.«
Bolitho wandte sich um und hob die Hände. »Eines schönen Tages wirst du noch mal einen tüchtigen Kommandanten abgeben, mein Junge.«
Keen betrat die Kajüte und ließ sich auf Bolithos Wink in einen Stuhl fallen.
»Ich frage mich, was sie uns Neues bringt, Sir.«
Dankbar nahm er ein Glas Wein entgegen und setzte es durstig an. Es war Rheinwein aus Ozzards heimlichem Vorrat in den Bilgen, den er seit England wie einen Schatz hütete.
»Mir sind alle Neuigkeiten recht. Manchmal komme ich mir hier wie ein Taubstummer vor.«
»Vielleicht rufen Ihre Lordschaften uns zurück«, überlegte Keen. Bolitho ging nicht darauf ein. »Adam, ein Signal an
Vivid«,
sagte er.
»Oder besser, laß dich übersetzen und sprich selbst mit Mr. Tyrrell.
Ich möchte, daß er an Bord ist, wenn wir auslaufen.«
Keen wartete, bis die Tür sich hinter Adam geschlossen hatte, dann stellte er sein Glas bedächtig ab. »Gestatten Sie mir eine Bemerkung, Sir?«
»Sie sind mit meiner geplanten Taktik nicht einverstanden, wie?« Keen lächelte knapp. »Sie gehen damit ein sehr hohes Risiko ein.
Ein doppeltes sogar, um genau zu sein.« Als Bolitho schwieg, fuhr er fort: »Dieser Tyrrell – wieviel wissen Sie denn schon von ihm?«
»Er war mein Erster Offizier…« Keen nickte nur. »Sie meinen, nach zwanzig Jahren ist das ein bißchen wenig?«
Keen hob die Schultern. »Schwer zu sagen, Sir. Er hat sich ja selbst als einen verzweifelten Mann bezeichnet, der seine Familie und seinen guten Ruf verlor,
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