Der Brander
Dann verlor er das Bewußtsein.
Tusons Gefühle waren abgestumpft, dazu hatte er schon zu viele Männer sterben gesehen oder zu Krüppeln werden; aber die simplen Dankesworte des Matrosen durchbrachen seinen Schutzpanzer und schüttelten ihn wie Fäuste.
Bei der Arbeit am Operationstisch war er zu beschäftigt, als daß er an das Kanonenfeuer oder Kampfgetümmel oben auch nur einen Gedanken verschwenden konnte. Der Strom der Verwundeten, die ihm ins Orlopdeck gebracht wurden, schien niemals ein Ende zu haben. Kaum daß er den Blick zu den blutigen Schürzen seiner schweißgebadeten Gehilfen hob. Kein Wunder, daß man seine Zunft mit Metzgern verglich. Hier ein Bein ab, dort ein Arm, während der nackte Körper mit roher Gewalt auf dem Tisch festgehalten wurde, damit er sägen und hacken konnte, taub für das Gebrüll der Gemarterten.
Aber hinterher, in solchen Augenblicken wie jetzt, setzte auch bei ihm die Reaktion ein. Dann fühlte er sich beschämt darüber, daß er so wenig für sie tun konnte; daß sie ihm auch noch dankbar waren.
Der Arztgehilfe ließ die Laterne sinken und wartete geduldig.
Tuson setzte seinen Rundgang fort und verdrängte das verführerische Bild der Schnapsflasche aus seinen Gedanken. Wenn er dieser Versuchung erlag, war er verloren. Vor ihr hatte er sich ursprünglich auf See geflüchtet.
Irgendwo aus dem Halbdunkel kam ein schriller Aufschrei.
»Wer war das?«
»Larsen, Sir, der große Schwede.« .
Tuson nickte. Er hatte dem Mann einen Arm amputiert. Der Schrei ließ eine Wendung zum Schlechteren vermuten. Vielleicht Wundbrand. In diesem Falle.
»Hebt ihn auf den Tisch«, befahl er knapp.
Tuson war wieder ruhig und Herr der Lage. Er wartete, bis die Gestalt auf dem Operationstisch ausgestreckt dalag. Also ein Schwede.
Aber was zählte schon die Nationalität eines Matrosen?
»Na denn, Larsen…«
Bolitho stand neben Keen an Deck, als
Vivid
von ihrer Muring loswarf und langsam auf die Hafenausfahrt zukreuzte.
Er hob ein Teleskop und suchte das kleine Schiff vom Bug bis zum Heck ab, bis er Adam neben Tyrrells vierschrötiger Gestalt am Ruder stehen sah; er wirkte sehr schneidig in seiner Uniform.
Was ihn in Boston erwartete, würde ihm wehtun, aber nicht das Herz brechen. Bolitho wußte jetzt, daß er sich nicht einmischen durfte; er mußte riskieren, daß Adam sich gegen ihn wandte.
Keen schien seine Gedanken zu erraten. »Vielleicht trifft er die Kleine gar nicht, Sir«, sagte er tröstend.
Bolitho ließ das Glas sinken und die Brigantine damit wieder zu einem fernen kleinen Spielzeugschiff werden.
»Er wird schon dafür sorgen. Ich weiß genau, wie ihm zumute ist. Sehr genau.«
Vivid
glitt hinter dem Vorland außer Sicht, nur ihr Toppsegel war noch zu erkennen. Dann, als sie auf den anderen Bug ging, verschwand auch dieses.
Keen hegte Bolitho gegenüber großen Respekt, aber er konnte einfach nicht verstehen, warum er gutes Geld verschwenden wollte, nur um Tyrrell zu dem Schiff zu verhelfen. Der sollte sich glücklich schätzen, daß er dem Strick entronnen war. Aber dann gewahrte er Bolithos traurigen Gesichtsausdruck und begriff, daß kein Dritter jemals die besondere Beziehung zwischen diesen beiden Männern durchschauen würde.
Bolitho wandte der See den Rücken.
»Und wir müssen jetzt an die Verteidigung dieser Insel gehen, Val.« Er ballte die Faust. »Wenn ich doch nur ein paar Schiffe mehr hätte! Dann könnte ich auslaufen und sie mit geladenen Kanonen erwarten.«
Keen schwieg. Bolitho rechnete also fest mit einem Überfall. Der Friede von Amiens hatte hier draußen ja auch keinerlei Bedeutung, schon gar nicht für die Spanier. Nachdenklich starrte er zur glitzernden Kimm hinaus und überlegte, welch gefährliches Spiel Rivers getrieben hatte, als er Amerikaner und Spanier gegen England aufgestachelt hatte. Gefährlich vor allem für
Achates,
die nun dafür bezahlen mußte.
Aufmunternd schlug ihm Bolitho auf die Schulter. »Warum denn so grimmig, Val? Wir wollen doch dem Unvermeidlichen ins Gesicht sehen.«
Er schien so guter Laune zu sein, daß Keen seine Depression sofort abschüttelte.
»Womit möchten Sie beginnen, Sir?« fragte er.
Stimmungen waren ansteckend, das hatte Keen schon oft erlebt. Auch damals, als er in dem Gefecht beinahe ums Leben gekommen wäre, hatte man von einer Friedenszeit gesprochen.
»Wir beschaffen uns Pferde und besichtigen erst einmal die ganze Insel. Dabei vergleichen wir jede Landmarke mit Mr. Knockers Karte oder
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