Der Brander
anderem Kartenmaterial, das wir hier auftreiben können.« Bolitho deutete auf den Dunst, hinter dem sich der Gipfel des Vulkans verbarg. »Diese Insel ist ein fetter Brocken, Val. Und die hungrige Meute schließt schon den Kreis um uns.«
Die Besorgnis seines Flaggkapitäns war Bolitho nicht entgangen. Wenn schon Keen davor zurückschreckte, um San Felipe einen Krieg ohne Kriegserklärung zu führen, dann mußte es seiner Besatzung noch mehr widerstreben.
Den Ritt um die Insel brauchte Bolitho im Grunde nicht, er hatte die Stärken und Schwächen für eine Verteidigung von der Karte her im Kopf. Aber es war notwendig, daß er Keen und den anderen seinen Widerstandswillen demonstrierte. Und seine Entschlossenheit, die Insel zu halten, bis sich eine günstigere Wendung ergab.
Seine Schenkelwunde juckte bei dem feuchtwarmen Wetter, und es verlangte ihn danach, sie zu reiben.
Warum bedrückte ihn die Aussicht auf eine Belagerung oder einen offenen Angriff? Sorgte er sich Belindas wegen oder weil der Ausgang der Schlacht ungewiß war?
Plötzlich sah er sich wieder in Sir Hayward Sheaffes stillem Dienstzimmer in London. Hier, zu Füßen der Festung und des erloschenen Vulkans, war es für ihn wie die Erinnerung an eine andere Welt. Trotzdem klangen ihm Sheaffes klare Worte immer noch in den Ohren: »Ihre Lordschaften benötigen für diese Aufgabe einen ebenso taktvollen wie tapferen Mann.«
Und dann dachte Bolitho an des kleinen Evans’ Gesicht, als der namenlose Zweidecker in Flammen aufgegangen war; an den Schrecken und das Entsetzen in den toten Zügen des Trommlerbuben. Und er dachte an Duncan und die vielen anderen, die er gar nicht gekannt hatte.
Taktvoll konnte er später immer noch sein.
Ein Feiertag
Adam Bolitho stand in Jonathan Chases Bibliothek am Fenster und starrte hinaus auf die endlos heranrollenden, gischtgekrönten Brecher der Massachusetts Bay. Erst vor einer Stunde war er in
Vivids
Beiboot gelandet und von Chases erstauntem Agenten in Empfang genommen worden. Wie er bald merkte, hatte
Vivids
Rückkehr unter britischer Flagge in ganz Boston Aufsehen erregt.
Adam kam es vor, als träume er. Chase hatte ihn begrüßt, wirkte aber zurückhaltend und nahm den dicken Umschlag nur zögernd an, den Adam ihm von seinem Onkel überbrachte.
Er schauderte in der kühlen Herbstluft Neuenglands und dachte seltsam schuldbewußt an das warme San Felipe. Schlimm, daß ihm alles so unwirklich schien. Aber da stand er nun, und Chase hatte sich entschuldigt, um Bolithos Brief zu lesen; vorher hatte er noch wie beiläufig erwähnt, daß Robina sich mit ihrer Mutter in Boston aufhielt und vielleicht bald vorbeikommen würde.
Adam wandte sich um und ließ den Blick über die Gemälde und nautischen Antiquitäten des geschmackvollen Zimmers schweifen. Es war der richtige Rahmen für einen Mann wie Chase, den ehemaligen Seemann – und ehemaligen Feind –, der jetzt ganz hier verwurzelt war.
Ihre Zehn-Tages-Reise von San Felipe nach Boston war ganz anders verlaufen als die Hinfahrt, auf der er sich die Zeit im Gespräch mit Jethro Tyrrell so angenehm vertrieben hatte. Diesmal hatte er trotz der Enge an Bord kaum ein Wort mit Tyrrell wechseln können, höchstens über das Wetter und ihre Navigation.
Warum hatte sein Onkel angeboten,
Vivid
für Tyrrell zu erwerben, und weshalb sollte Chase sie verkaufen wollen? All das konnte er sich nicht erklären. Aber es scherte ihn auch wenig – jetzt, da er wieder in Boston war und Robina wiedersehen würde.
»Tut mir leid, daß ich Sie warten ließ.«
Chase war ein kräftig gebauter Mann, aber dennoch lautlos wie eine Katze wieder ins Zimmer gekommen.
Nun nahm er bedachtsam Platz und begann: »Ich habe den Brief Ihres Onkels gelesen und veranlaßt, daß der zweite Brief, den er beigelegt hatte, sofort zu Sam Fane in die Hauptstadt gebracht wird.« Nachdenklich musterte er den Leutnant. »Mich wundert nur, daß er
Sie
damit gesandt hat.«
Adam hob die Schultern; darüber hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.
»Hm. Ihr Onkel versichert mir, daß er Politik verabscheut, dennoch scheint er sich ausgezeichnet darauf zu verstehen.« Ohne dies näher zu erläutern, fuhr Chase fort: »Wie Sie beim Einlaufen zweifellos bemerkten, haben die französischen Kriegsschiffe Boston verlassen. Gerüchte verbreiten sich eben mit Windeseile. Der französische Admiral schien jedenfalls nicht auf einer schnellen Rückgabe San Felipes durch die Briten zu bestehen, solange die Lage
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