Der Brandstifter
durften, wie uns der Ermittlungsleiter instruierte. Vorsichtig betrat ich sie und spürte, wie sie unter Robs Gewicht nachgab.
Dr. Hanshaw zu begrüßen war völlig sinnlos. Wir waren wieder einmal Luft für ihn. Gleich neben ihm stand seine Assistentin Ali und machte sich Notizen, während er sprach.
» Der Leichnam liegt mit dem Gesicht nach oben in einer flachen Senke und weist Anzeichen prämortaler und postmortaler Gewalteinwirkung auf. Es scheint sich um eine Frau zu handeln. Um Angaben zu ihrem Alter machen zu können, müssen wir die Obduktion abwarten.« Er ging in die Hocke. » Die Gliedmaßen sind hoch- und zum Torso hin angezogen, ich würde aber sagen, dass sie ursprünglich flach abgelegt wurde– vermutlich das Resultat von Muskelkontraktionen infolge der hohen Temperaturen. Zu beachten sind die Boxerhaltung und die auseinandergespreizten Hände. Klassische Merkmale starker Hitzeeinwirkung.«
Die Haut der Frau war verrußt, aufgerissen und entstellt durch rote und weiße Flecken, wo die tieferliegenden Hautschichten sichtbar wurden. Die Verbrennungen waren massiv, betrafen jedoch nicht ihren gesamten Körper. Experten zufolge ist es nicht einfach, einen Menschen ohne weitere Hilfsmittel zum Brennen zu bringen, aber ganz sicher lässt sich schwerer Schaden anrichten. Aus den Überresten ihrer Kleidung ließ sich schließen, dass sie ein sehr teures Kleid getragen hatte. Es war schwarz, langärmelig, mit einem diagonal geschnittenen Ausschnitt und einem langen seitlichen Schlitz, der bis zum Oberschenkel reichte. (Einen Mantel trug sie nicht, obwohl die Nacht sehr kalt war.) Auf einer Seite war der Stoff des Kleides an der Taille gerafft und zu einer Rose gedreht, die sich hartnäckig geweigert hatte, Feuer zu fangen. Es war ein kleines Meisterwerk, das ihrer schlanken Figur sicher sehr geschmeichelt hatte und sich noch immer beharrlich an sie schmiegte, obwohl es zerrissen, verbrannt und schmutzig war. An den Füßen hatte sie Absatzschuhe mit zierlichen Riemchen aus schwarzem Lackleder getragen. Einer war abgefallen und lag seitlich neben ihr. An den Fußrücken klebte Schmutz, und die Haut war bis zu den Knöcheln beschädigt. Die Hände, die Dr. Hanshaw erwähnt hatte, waren gekrümmt und schwarz und befanden sich dicht unter dem Kinn der Frau, so als habe sie noch versucht, die Flammen abzuwehren. Ich schluckte, und meine Gedanken waren plötzlich angefüllt mit Feuer, Angst und Schmerz. Sogar Ali– die eigentlich viel zu schön und elegant war, um zu dieser frühen Morgenstunde neben einer Leiche zu stehen– sah ganz bleich aus.
» War sie tot, als das Feuer ausbrach?«
Er nahm eine kleine Taschenlampe und leuchtete in Mund und Nase des Leichnams, zog sanft den Unterkiefer herunter. » Nichts, das auf ein Einatmen hindeutet. Ich würde sagen: höchstwahrscheinlich. Aber wir müssen uns die Lunge noch unter dem Mikroskop ansehen.«
Die Taschenlampe verschwand wieder, und er streckte seine in weißen Handschuhen steckenden Hände aus, um durch das verfilzte, mittelblonde Haar hindurch den Kopf des Opfers zu betasten. Er entwirrte ein paar Knoten, um besser fühlen zu können, was darunter war. » Schädelfrakturen«, stellte er nüchtern fest. » Allesamt am Hinterkopf. Keine prämortalen Verletzungen von Knochen oder Gewebe im Gesicht. Lediglich Flecken auf der Gesichtshaut infolge Versengung.«
Das war etwas Neues. Ich beugte mich vor und versuchte zu erkennen, was er Ali zeigte. Die anderen Opfer waren bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert worden, bevor er sie angezündet hatte. Der Brandmörder hatte alles daran gesetzt, ihre Gesichtszüge auszulöschen, ihnen die Knochen zu brechen, ihre Knorpel, ihr Fleisch zu zerfetzen, bis nur noch etwas Grässliches und mehr oder weniger Austauschbares übrig blieb. Er machte sie zu etwas, das sie vorher nicht waren– er formte sie. Mutwillige Zerstörung bereitete ihm offenbar Vergnügen.
» Vielleicht wurde er gestört, bevor er mit seinem üblichen Ritual fertig war«, mutmaßte Rob.
» Er hatte aber immer noch genug Zeit, sie in Brand zu setzen.«
Der Rechtsmediziner drehte sich um und funkelte uns an. » Spekulationen sollten doch besser bis nach der Untersuchung warten, finden Sie nicht auch? Oder soll ich Ihnen vielleicht Platz machen, damit Sie den Leichnam gleich selbst begutachten können?«
» Entschuldigung«, sagte ich beschämt, und neben mir murmelte Rob etwas vor sich hin. Das Geräusch herannahender Schritte war eine
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