Der Brandstifter
Verbindung zu setzen.
» Niemand ist heutzutage unerreichbar«, hatte ich der Sekretärin zu erklären versucht. » Man kommt innerhalb von fünf Sekunden zu jemandem durch, wenn man will. Er hat doch bestimmt ein Blackberry. Oder ein iPhone. Irgendwas, das weltweit funktioniert.«
Mr. Ventnor nicht, wie es schien. Mr. Ventnor pflegte sich auf das zu konzentrieren, was er gerade tat. Mr. Ventnor war häufig nicht im Büro, und in diesen Fällen rief er einmal am Tag an, um sich innerhalb von zehn Minuten auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Ja, sie wolle meine Bitte um ein Gespräch erwähnen, wenn er am nächsten Tag wieder anrief. Ich solle Geduld haben und warten, bis er sich bei mir meldete.
Natürlich hatte ich nicht die geringste Lust, mich zu gedulden. Ich hatte Rebeccas Personalakte angefordert, fand diese allerdings wenig aufschlussreich in der Frage, warum sie plötzlich einen Job aufgegeben hatte, den sie allem Anschein nach so geliebt hatte– einen Job, für den sie, wenn man ihren Kollegen Glauben schenken wollte, wie geschaffen war. Und kein Mensch konnte mir sagen, was der Auslöser dafür gewesen sein mochte. Meine letzte Hoffnung saß mir gerade mit verschmierter Wimperntusche unter den verheulten blauen Augen gegenüber.
» Meinen Sie, wir können weitermachen?«
Jess war Rebeccas Assistentin gewesen. Das Gespräch mit ihr führte ich erst jetzt, weil ich hoffte, dass sie mir die wahre Geschichte erzählen konnte. Sie schnäuzte sich heftig die Nase und sah mich flehentlich über ihr Taschentuch hinweg an. » Ja, selbstverständlich, es tut mir furchtbar leid.«
» Kein Problem, lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich verstehe schon, dass das für Sie nicht einfach ist. Haben Sie denn lange mit ihr zusammengearbeitet?«
Sie nickte. » Fast ein Jahr.«
Ich schätzte Jess auf 22. Für sie war ein Jahr wahrscheinlich noch sehr lang.
» Würden Sie sagen, dass Sie sie gut kannten?«
» Absolut. Sie hat mit mir über alles geredet. Sie war total offen und gesprächig. Morgens, wenn sie im Büro ankam, hab ich ihr immer erst mal einen Tee gemacht, und dann hat sie gesagt, ich soll mich dazusetzen, und dann haben wir uns unterhalten über das, was bei mir am Abend vorher los war und was sie so erlebt hatte, wie wir nach Hause gekommen sind und was wir anhatten und so. Sie wissen schon, solche Gespräche eben.«
Für mich hörte sich das grausam an, aber für die Arbeit in einem solchen Büro war ich wahrscheinlich auch nicht geschaffen.
» Dann wissen Sie sicher auch, warum sie sich entschlossen hat, bei Ventnor Chase aufzuhören.« Ich wagte kaum zu atmen, während ich auf ihre Antwort wartete. Jetzt komm schon. Irgendjemand muss doch etwas wissen.
Das durch das Fenster in ihrem Rücken hereinfallende Licht brachte ihre blonden Korkenzieherlocken wie einen Heiligenschein zum Leuchten, und natürlich war sie von ätherischer Schönheit, trotz Triefnase und verheulter Augen. Aber was sie mir wirklich wie einen Engel erscheinen ließ, war die Tatsache, dass sie nur knapp zwei Sekunden brauchte, um sämtliche Verschwiegenheit über Bord zu werfen, die ihr Arbeitgeber vermutlich von ihr erwartete. Sie richtete sich auf, fummelte an ihrem Taschentuch herum, keine Spur von Tränen mehr, und war offenbar fest entschlossen, mich in das gerade neu aufgekommene Klatschthema Nummer eins einzuweihen.
» Na ja, wahrscheinlich sollte ich das eigentlich gar nicht sagen, aber in der letzten Zeit war es mit ihr, na ja… ein bisschen komisch.«
» Wie meinen Sie das?«
» Ich glaube, dass Rebecca Drogen genommen hat.« Die letzten Worte hatte sie mehr gehaucht als gesprochen.
» Wieso glauben Sie das?«
» Sie fing an, nicht zur Arbeit zu kommen. Sie versäumte Veranstaltungen, die sie eigentlich hätte leiten sollen– nicht mal angerufen hat sie, um Bescheid zu sagen, dass sie es nicht schafft. Ich musste ständig Ausreden für sie erfinden, aber ich konnte natürlich nicht so tun, als ob sie irgendwo war, wenn das gar nicht stimmte. Als Mr. Ventnor das mitbekommen hat, ist er fast durchgedreht.«
» Und Mr. Chase? Was hat der dazu gesagt?«
» Es gibt keinen Mr. Chase«, antwortete Jess schmunzelnd. » Mr. Ventnor fand einfach, dass ein Doppelname besser klingt.«
Das erklärte natürlich, wieso Ventnors mürrische, aufgeblasene Sekretärin nicht in der Lage war, mir eine Telefonnummer von Mr. Chase zu geben. Es erklärte allerdings nicht, wieso sie mir nicht sagen konnte, dass der Mann nur auf dem
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