Der Brandstifter
Sie ging aufs Klo, schrieb mir eine SMS , damit ich sie anrief, so als wäre was ganz Dringendes auf der Arbeit passiert und sie müsste sofort gehen. Einmal ist es passiert, dass sie keinen Empfang hatte, weil die Bar, in der sie war, im Kellergeschoss lag. Sie sagte, sie hätte alles gegeben, um von dort zu verschwinden– das hat sie echt angekotzt. Danach gewöhnte sie sich an, mir vorher zu sagen, wohin sie geht und mit wem sie sich trifft. Und wenn ich bis um neun nichts von ihr gehört hatte, sollte ich auf jeden Fall dort anrufen. Sie meinte, dass sie immer schon nach einer Minute wusste, ob ein Date Zeitverschwendung war oder nicht– der erste Eindruck war halt superwichtig für sie. Und obwohl manche von ihren Typen voll süß waren, hat sie nie einen getroffen, mit dem sie richtig zusammen sein wollte. Aber ich hab so das Gefühl, das war bloß deshalb, weil sie den Richtigen eigentlich schon getroffen hatte. Es hat nur eben nicht geklappt mit ihm, was echt tragisch war. Mit diesem Freund war sie Ewigkeiten zusammen, und als sie sich dann getrennt haben…« Jess biss sich auf die Lippe und verdrehte die Augen und schaffte es, die ganze traurige Geschichte einer Trennung in diesen einen Gesichtsausdruck zu packen.
» Erinnern Sie sich an den Namen von diesem Freund?«
» Irgendwas mit G am Anfang. Gordon. Guy. Nein, auch nicht. G…g…g…«
Sie schnippte mit den Fingern. » Gil. Familiennamen hab ich vergessen, fürchte ich, aber ich hab ihn bestimmt irgendwo aufgeschrieben. Warum sie sich getrennt haben, weiß ich nicht, sie sagte nur, er hätte ihr zunehmend sein wahres Gesicht gezeigt.«
» Und was heißt das?«
Sie zuckte eine Schulter. » Das hat sie nie so richtig gesagt. Nur, dass ich mich vor Männern in Acht nehmen und ihnen nicht vertrauen soll. Ich denke, es hat sie wirklich sehr getroffen, das mit dieser Trennung. Es ist ihr wahnsinnig schwergefallen, sich auf jemand Neues einzulassen. Und wenn Sie mich fragen– mit dieser Trennung hat es angefangen, dass ihr Leben aus den Fugen geriet.«
Mich hatte er mit seinem Charme nicht einwickeln können, aber mir war schon klar, dass ein Typ wie Gil ganz schön Eindruck schinden konnte. Seufzend blätterte ich in meinem Notizbuch eine neue Seite auf. » Können Sie sich ungefähr erinnern, mit wem sich Rebecca getroffen hat, nachdem sie sich von Gil getrennt hatte– und wen sie hat abblitzen lassen?«
» Ich kann’s ja mal versuchen«, sagte sie vage. » Also, es ist nun nicht so, dass ich über ihr Privatleben detailliert Buch geführt hätte. Nur Dienstliches.« Dabei klopfte sie auf den bunten Spiralblock, der vor ihr auf dem Schreibtisch lag und an dessen Deckblatt ein glitzernder Kugelschreiber klemmte. » Ich schreibe alles auf. Alles. Und ich lösche keine E-Mails– unser Mailsystem archiviert alles. Da gibt es sicher noch tonnenweise Mails von ihr an mich und…« Sie wirkte ein bisschen verlegen. » Wahrscheinlich auch ein paar Mails von Männern. Manchmal hat sie mir Mails weitergeleitet, die sie lustig fand– zum Beispiel, wenn einer besonders kläglich um ein Date gebettelt hat oder stinksauer war wegen einer Abfuhr, die sie ihm verpasst hat. Ich kann Ihnen Kopien schicken von allem, was ich finde.«
Ich schmunzelte. » Ein Glück aber auch, dass Sie so ordentlich sind.«
» Das habe ich auch von Rebecca gelernt. Man glaubt ja immer, sich an alles zu erinnern, aber das stimmt nicht. Schreib lieber alles auf. Speichere alles. Und führe Buch über alles, damit du weißt, was du getan hast und wann. Das macht auf lange Sicht alles einfacher, sagt Rebecca immer.« Jess hielt inne und presste sich die Hand auf den Mund. Dann korrigierte sie sich. » Sagte. Sagte Rebecca immer. Sie hatte ständig ihren Kalender dabei und machte sich Notizen. Ich hab oft Witze darüber gemacht, denn mal ehrlich, wer hat denn heutzutage noch einen Kalender aus Papier? Aber sie fand das besser als ein iPhone oder so, weil sie nicht das ganze Ding mit einem Knopfdruck komplett löschen konnte oder durch eine umgekippte Kaffeetasse der gesamte Speicher ruiniert war. Alles schon passiert, hat sie gesagt. Dann doch lieber Papier und Stift. Na ja, sie hatte schon Recht. Seitdem hab ich mir das auch angewöhnt.«
Ich kaute auf meinem Stift herum und versuchte, mich zu erinnern, ob ich in Rebeccas Wohnung einen solchen Notizkalender gesehen hatte. » Hatte sie den Kalender immer bei sich?«
» So ziemlich. Ihr zweites Gehirn hat sie ihn immer genannt. Er
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