Der Brandstifter
vollkommen unnötig.
Ich verabschiedete mich von Tilly und machte mich wieder daran, die schmutzig orangefarbene Tapete abzureißen, die wahrscheinlich schon seit den Achtzigerjahren die Wände des Gästezimmers zierte. Ich wollte den Raum neu gestalten, mit bauschigen Vorhängen, weiß gestrichenen Dielen und einem Schaffellteppich anstelle der braunen Auslegware, die ich gerade unter beträchtlichem Staubgewirbel herausgerissen hatte. Außerdem wollte ich neue Kissen und eine neue Matratze für das Bett anschaffen und die Wände zartrosa tapezieren, sodass jeder, der in dem Raum aufwachte, sich wie auf einer Wolke fühlte. Das war zwar eine Menge Arbeit, die aber auch sehr guttat. Ich hatte zuvor sogar leise vor mich hingesummt, aber nach Tillys Anruf war mir nicht mehr danach zumute. Ich machte die eine Wand noch fertig, weil ich es mir nun einmal vorgenommen hatte, und ließ es dabei vorerst bewenden.
Ich musste immerzu an den Trauergottesdienst denken. Egal, wie sehr ich mich abzulenken versuchte, er kam mir doch immer wieder in den Sinn. Ich stellte mir vor, wer alles da sein würde– lauter Leute, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Und dann fiel mir ein, wie mich Tilly bei der Gestaltung ausgebootet hatte. Obwohl ich mich ohnehin nur in die letzte Reihe hatte setzen wollen, wurmte mich dieser Affront doch ziemlich. Es war Rebeccas letzte Party, abgesehen von ihrer Beerdigung. Aber die würde sicher in aller Stille stattfinden. Die Haworths wollten dabei vermutlich unter sich bleiben und nur diejenigen dabeihaben, die ihr nahegestanden hatten– so wie ich zum Beispiel.
Dieser Gedanke brachte mich wieder an einen unvermeidlichen Punkt. Gil hatte sie geliebt und würde anwesend sein. Ich würde Gil also sehen. Und er würde mich sehen. Und der rationale Teil meines Hirns sagte, dass ich ihm keinesfalls begegnen wollte. Ich hatte der Polizei gesagt, dass wir uns nicht sonderlich gut verstanden, aber das stimmte nicht ganz. Ich hasste ihn geradezu und nahm an, dass ich ihm viel zu egal war, als dass er mir gegenüber überhaupt etwas empfand. Und dafür verachtete ich ihn noch viel mehr, weil er mich gegen meinen Willen faszinierte.
Er hatte Rebecca geradezu hörig gemacht, und sie war vollkommen blind gewesen, was Gil anbetraf. Ich fand das grauenhaft und hatte ihr immer gesagt, dass sie sich von ihm trennen müsste. Aber es war wenig überraschend, dass sie meinen Rat nicht beherzigt hatte. Natürlich war er unausstehlich, aber zugleich war ich mir selbst unsicher, ob ich an ihrer Stelle von ihm hätte loskommen können.
Andererseits hätte ich mir darüber nie Gedanken zu machen brauchen. Wenn Rebecca in der Nähe war, nahm er mich nicht einmal wahr.
6
Maeve
» Ich kann das einfach nicht glauben. Ausgerechnet Rebecca. Es ist nur– ich kann einfach nicht– tut mir leid…«
Das heftige Schlucken und Handwedeln war ein Indiz dafür, dass Jess Barker auf dem besten Wege war, schon wieder die Fassung zu verlieren. Ich beugte mich nach vorn, schob mit dem anderen Ende meines Kugelschreibers eine Taschentuchbox zu ihr hinüber und verkniff mir ein Seufzen. Es war ja nicht so, dass ich kein Mitgefühl hatte– ganz und gar nicht, ihr Schmerz wirkte durchaus echt. Aber bisher hatte ich eigentlich immer zu hören bekommen, welch » fantastische Mitarbeiterin« Rebecca gewesen war. » Einfach fantastisch. Wir waren ja alle so froh, sie bei uns im Büro zu haben.« Ja doch. Das hatte ich inzwischen von sämtlichen ihrer Kollegen bei Ventnor Chase zu hören bekommen. Ventnor Chase war die PR -Agentur, bei der sie vier Jahre lang gearbeitet hatte. Sie hatte ihren Sitz in einem nur noch von außen georgianisch anmutenden Stadthaus in Mayfair. Aber keiner von ihnen konnte mir sagen, warum sie das erlesen möblierte Büro vor vier Monaten für immer verlassen hatte. Ich hatte mir Geschichten angehört von einem eigenen Unternehmen, das sie angeblich wohl aufbauen wollte, vage Spekulationen über eine geplante Reise oder über einen neuen Job, der angeblich in New York auf sie wartete. Niemand wusste etwas Genaues. Anton Ventnor war der Einzige, der mir mit einiger Sicherheit sagen konnte, was wirklich passiert war, aber er war unerreichbar, wie mir seine Sekretärin mitgeteilt hatte. Er befand sich im Ausland. Genf, wie sie annahm, aber am nächsten Tag sollte er nach Vilnius weiterreisen. Nein, sie wisse nicht, wann er zurückkäme. Selbstverständlich würde sie ihn bitten, sich mit mir in
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