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Der Brandstifter

Der Brandstifter

Titel: Der Brandstifter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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kaum in London besucht. Wenn Sie herausfinden wollen, wie sie gelebt hat, seit sie von zu Hause ausgezogen ist, müssten Sie am besten ihre Freunde und Arbeitskollegen fragen«, sagte Avril müde.
    » Ich habe schon mit ihnen gesprochen. Sie waren auch wirklich sehr kooperativ.«
    » Wir können Ihnen nicht mehr sagen«, erklärte Gerald mit schmerzerfülltem Blick, » als dass es ihr gut ging. Sehr gut sogar. Sie war glücklich und hatte alles, wofür es sich zu leben lohnt. Deshalb müssen Sie uns versprechen, dass Sie denjenigen finden, der ihr das angetan hat– um unseretwillen, Maeve.«
    Es war nicht das erste Mal, dass die Familie eines Opfers mich dazu aufgefordert hatte, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Trotzdem verursachte es mir einen Kloß im Hals, sodass ich mich erst einmal räuspern musste, ehe ich antworten konnte.
    » Ich werde mein Bestes tun. Dafür gebe ich Ihnen mein Wort.«
    » Das würde uns sehr viel bedeuten«, erwiderte er. Ich wandte meinen Blick ab, als ich sah, wie sein Kinn zitterte, denn er war ein Mensch, der selten die Beherrschung verlor.
    » Wir haben uns eigentlich noch mehr Kinder gewünscht«, sagte Avril bekümmert. » Aber es hat eben nicht sollen sein. Sie war unser Ein und Alles.« Dann setzte sie sich wieder aufrecht hin und sagte erhobenen Hauptes: » Können wir sonst noch etwas für Sie tun? Möchten Sie noch etwas von uns wissen?«
    Ich schüttelte den Kopf. Sie hatten alles gesagt, was es zu sagen gab.

Louise
    Schon als ich eintraf, war mir klar, dass es ein Fehler war, zum Trauergottesdienst zu kommen. Ich hätte mich am Abend vorher von den Haworths verabschieden und der Feierstunde fernbleiben sollen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als ich die Kirche betrat und in einem der Seitenschiffe ein Grüppchen ehemaliger Latimer-Studenten entdeckte. Ich kannte sie nicht gut genug, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, aber es wäre auch unhöflich gewesen, sie einfach zu ignorieren. Also entschied ich mich für ein angedeutetes Winken und ein freundliches Halblächeln. Ein heiteres Hallo hätte angesichts der Umstände ohnehin deplatziert gewirkt. Sie beantworteten meine Begrüßung mit ähnlicher Geste, wobei die Mädchen unter ihnen sich umsahen, mein Äußeres mit unverhohlener Neugier musterten und begutachteten, wie ich mich verändert hatte, was ich anhatte und wie viel ich vermutlich verdiente. Ich verschwendete mit solcherlei Gedanken über sie keine Zeit, dazu interessierten sie mich einfach zu wenig. Als ich mich in die zweite Bankreihe von vorn gesetzt hatte, schlang sich ein dünner Arm um meine Schultern, und ein durchdringender Vanilleduft stieg mir in die Nase, der typisch war für Tilly und von dem mir ganz übel wurde.
    » Danke, dass du gekommen bist. Wir sehen uns dann später, ja?«
    Noch ehe ich antworten konnte, war sie schon wieder verschwunden. Ich setzte mich in die Bankreihe, wohl wissend, dass sie nicht so bald wieder auftauchen würde. Aber das sollte mir nur recht sein. Ich hatte ihr ohnehin nie viel zu sagen. Sie war ganz in ihrem Element und begrüßte eifrig alle Leute, als wäre sie die Gastgeberin.
    Ich hatte befürchtet, dass mich in der Öffentlichkeit meine Gefühle überwältigen könnten, aber nun, da alle meiner besten Freundin und ihrem wunderbaren, viel zu kurzen Leben die letzte Ehre erwiesen, empfand ich überhaupt nichts. Ich war wie betäubt. Ich zog mich ganz in mich zurück, und es fiel mir enorm schwer zu verfolgen, was in der Kirche vor sich ging– Avrils Verzweiflung, die nicht immer ganz passenden, von Tilly ausgewählten Lesungen. Als der offizielle Teil zu Ende war, folgte ich den Trauergästen zum Haus der Familie, ohne vorher recht darüber nachzudenken. Es war viel einfacher, dem Tross zu folgen, mir am Buffet eine Tasse Tee zu nehmen und mit Leuten, die ich noch nie gesehen hatte und auch nie wiedersehen würde, nichtssagende Konversation zu betreiben. Ich fühlte mich vollkommen leer und war kein bisschen ich selbst. Als ich aufschaute und feststellte, dass Gil Maddick mich durch die Menge hindurch anstarrte, kam es mir vor, als würde ich durch eine Eisschicht ins tiefe, kalte Wasser fallen. Nachdem sich unsere Blicke getroffen hatten, konnte ich nicht mehr wegsehen. Ich hatte schon in der Kirche nach ihm Ausschau gehalten und ihn nicht entdecken können. Und auch als ich am Haus ankam, hatte ich meinen Blick vergeblich über die Anwesenden schweifen lassen und daher angenommen, dass er abgesagt hatte.

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