Der Brandstifter
Denn wäre er da gewesen, hätte ich ihn auch gesehen. Da war ich mir ganz sicher.
Als er sich wieder seinem Gegenüber zuwandte– es war die Polizeibeamtin, wie ich entsetzt erkannte–, entschuldigte ich mich hastig bei dem alten Nachbarn der Haworths und verließ schleunigst das Festzelt in Richtung Garten, um Gil aus dem Weg zu gehen. Die kalte Luft wirkte belebend, ich atmete sie tief ein und versuchte meinen Puls zu beruhigen. Es gab keinen Grund zur Sorge. Nichts, wovor ich Angst haben musste. Aber ihn zu sehen irritierte mich, und ich beruhigte mich erst wieder, als ich das Tor im hintersten Winkel durchquert und Zuflucht im Obstgarten gefunden hatte. Die Bäume standen säuberlich aufgereiht und breiteten ihre kahlen Äste aus. Ich lief an den Quittenbäumen entlang. Ihre Früchte waren zum Essen viel zu bitter, weil die Sommer in England nicht lang und warm genug ausfielen. Aber Gerald liebte ihre Blüte im Frühjahr. Sie waren seine Investition in die Zukunft, hatte er mir erzählt. Wenn das Klima sich erst um ein bis zwei Grad erwärmt hatte, würden sie groß genug sein, um reichlich Früchte zu tragen. Das war seine besondere Art von Donquichotterie, die mich immer wieder verblüffte und amüsierte.
Am Ende des Obstgartens bog ich um die Ecke, in Gedanken noch immer bei den Obstbäumen, und lief geradewegs gegen Gils weiße Hemdbrust. Ich erschrak, aber er fing mich auf und umfasste meine Oberarme.
» Endlich treffen wir uns. Du hast mich nicht zurückgerufen, Louise.«
» Ich hatte dir halt nichts zu sagen.« Mein Herz raste, aber ich zwang mich, ihn seelenruhig anzusehen.
» Nein? Anderen hattest du aber offenbar eine Menge zu erzählen. Die Polizei ist bei mir aufgetaucht und hat mich über unseren armen Rebecca-Schatz ausgefragt.«
» Sie haben mit allen ihren Freunden geredet. Mit mir auch.«
» Ich weiß. Auf mich sind sie durch dich erst gekommen, stimmt’s?«
» Wenn du nichts zu verbergen hast, musst du dir ja auch keine Gedanken machen.«
» Wieso sollte ich denn was zu verbergen haben? Sie wurde von einem Serientäter ermordet. Damit habe ich nichts zu tun.«
Mühsam befreite ich mich aus seinem Griff und langteinmeine Tasche. » Den hier habe ich übrigens gefunden.«
Er nahm mir den Stift aus der Hand, drehte und wendete ihn und las die Initialen darauf.
» Das bist doch du, oder? GKM . Gilbert K. Maddick. Wofür steht denn eigentlich das › K‹? Für Kenneth?«
» Kendall. Der Name hat Tradition in meiner Familie.« Er gab ihn mir zurück und wirkte dabei vollkommen ungerührt. » Tut mir leid. Den habe ich noch nie gesehen.«
» Ich habe ihn in Rebeccas Wohnung gefunden. Du bist doch dort gewesen, oder?«
» Nicht in letzter Zeit.«
» Er lag auf dem Couchtisch.«
» Vielleicht kannte sie noch jemanden mit den gleichen Initialen«, sagte er gelangweilt. » Ich kann damit wirklich nichts anfangen, und ich weiß auch nicht, was dich das eigentlich angeht.«
» Es interessiert mich eben.«
Er hielt mich noch immer leicht umfangen, sodass ich mich nicht abwenden konnte. » Arme Louise. Was wirst du jetzt bloß anfangen, wo Bex nicht mehr da ist?«
» Mach dich nicht lustig«, fuhr ich ihn an. » Wir waren sehr gut befreundet.«
» Würde mir nicht im Traum einfallen.« Er sah zu mir herunter. » Du siehst müde aus, Louise. Aber deine Augen sind trocken. Keine Tränen. Deine beste Freundin ist tot, und du hast heute nicht geweint. Weder in der Kirche noch hier in ihrem Elternhaus. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so eiskalt ist wie du.«
» Ich bin überhaupt nicht eiskalt«, widersprach ich instinktiv und musste dann beinahe lachen, als ich die Ironie daran erkannte. Durch mein Verhalten widersprach ich meinen eigenen Worten. Ein emotionalerer Mensch wäre sicher bestürzt gewesen über seinen Vorwurf, mich jedoch störte er ganz und gar nicht, also musste er zutreffen. Quod erat demonstrandum.
» Du hast anscheinend gar keine Gefühle«, stichelte Gil weiter. » Zumindest habe ich sie nie bemerkt.«
» Das wird auch so bleiben, darauf kannst du Gift nehmen.« Ich befreite mich aus seinem Griff und wollte ihn stehen lassen, aber er umfasste mein Handgelenk und hielt mich zurück.
» Wo willst du denn hin?«
» Weg von dir.«
Er sah mich stirnrunzelnd an und schien plötzlich nicht mehr weiterzuwissen.
» Sag mal, was willst du eigentlich von mir?«
» Seltsamerweise das hier.« Er beugte sich zu mir, und bevor ich mich ihm entziehen konnte, küsste er
Weitere Kostenlose Bücher