Der Brandstifter
dauerte es nochmals eine halbe Stunde, bis die letzten Trauergäste es begriffen hatten und sich verabschiedeten. Nur die Leute vom Cateringservice blieben noch und sammelten Tassen und Gläser ein, stapelten Stühle und klappten die Tische zusammen. Das leere Festzelt bauschte sich und flatterte im Wind, und ein eisiger Luftzug, den ich zuvor gar nicht bemerkt hatte, strich mir um die Knöchel. Avril Haworth setzte sich auf einen der wenigen verbliebenen Stühle und verfolgte mit leerem Blick das Aufräumen, als würde sie eigentlich niemanden sehen. In der Ecke stellte ihr Mann einen Scheck aus. Ich ging zu ihr hinüber und beugte mich spontan zu ihr hinunter.
» Mrs. Haworth? Kann ich Ihnen etwas bringen– ein Glas Wasser oder…«
Als sie den Kopf schüttelte, verstummte ich. » Das ist wirklich nett von Ihnen. Aber ich brauche wirklich nichts. Ich muss mich nur kurz ausruhen. Wir können nicht mehr richtig schlafen, seit…« Sie brach mitten im Satz ab und legte eine Hand an den Kopf. Ich ergriff die andere. Sie war kalt und blutleer.
» Sie sind ja ganz durchgefroren. Sie sollten besser ins Haus gehen.«
» Ich bringe sie hinein.« Gerald Haworth beugte sich über seine Frau und half ihr auf. » Kommen Sie bitte mit, DC Kerrigan. Ich habe nicht vergessen, dass Sie noch mit uns sprechen wollten.«
» Wenn es gerade unpassend ist…«, begann ich und fluchte innerlich, dass ich derart unfähig war, meine Interessen durchzusetzen. Wenn ich jetzt den weiten Weg noch einmal auf mich nehmen musste, um sie zu befragen, dann war es meine eigene Schuld.
» Nein, nein. Wir können jetzt miteinander reden. Dann haben wir es hinter uns.«
Er sprach in der Wir-Form, wie ich in einem unwillkürlichen Anfall von feministischem Eifer feststellte, den ich jedoch sogleich wieder unterdrückte, weil Avril Haworth momentan gar nicht in der Lage war, eigene Entscheidungen zu treffen.
Auf ihren Mann gestützt ging sie den kurzen Weg vom Festzelt zum Hintereingang des Hauses, den er vorsorglich abgeschlossen hatte.
» Man hat mir geraten, vorsichtig zu sein«, sagte er angestrengt, drehte den Schlüssel herum und hielt mir die Tür auf. » Ich habe gehört, dass sich Einbrecher oft in Häusern zu schaffen machen, in denen es einen Trauerfall gibt.«
» Manche Leute schrecken wirklich vor nichts zurück, Mr. Haworth.«
» Gerald«, korrigierte er mich. » Und Avril.«
» Dann nennen Sie mich doch bitte Maeve.«
» Das ist aber ein schöner Name«, sagte Avril matt. » Das war doch eine irische Königin, oder?«
» Ja, anscheinend.« Eigentlich war ich nach meiner Urgroßmutter benannt worden, was jetzt allerdings zu weit geführt hätte. Immerhin war sie dem Vernehmen nach auf ihre eigene Art auch majestätisch gewesen.
Ich trat in den kleinen gefliesten Vorraum, in dem an Kleiderhaken etliche Jacken und Mäntel hingen und unter einer Bank ordentlich aufgereiht Gummistiefel und Gartenschuhe standen. In einem Regal lagerten Gartengeräte und mehrere Stapel mit tönernen Blumentöpfen. Darüber hing ein Keramiktäfelchen mit der Aufschrift: » Wer im Garten wirkt, öffnet dem Himmel sein Herz.« Ich musste an Louises Bemerkung denken und seufzte innerlich. Das perfekte Leben der Haworths hatte etwas von Grund auf Unschuldiges an sich, das den schmerzlichen Verlust ihrer Tochter vermutlich nicht unbeschadet überstehen würde. Ich wünschte, alles wäre ganz anders.
Die beiden gingen voran durch eine große, freundliche Küche ins Wohnzimmer. Es war angenehm lässig eingerichtet, wirkte aber trotzdem kultiviert und einladend, als Gerald mehrere Lampen im Raum anschaltete. Seine Frau setzte sich auf die Sofakante, und ich nahm neben ihr in einem Sessel Platz, aus dem ich später wohl nur schwer wieder hochkommen würde. Daher stopfte ich mir ein Kissen in den Rücken, dessen eingestickten Sinnspruch ich flüchtig wahrnahm: » In einem glücklichen Haus fühlt man sich zu Hause.« Und in einem unglücklichen Haus hat man die Hölle auf Erden.
» Ich kann mir vorstellen, dass Sie heute alles andere im Sinn haben, als mit mir zu reden«, begann ich. » Es freut mich deshalb sehr, dass Sie sich die Zeit dafür nehmen.«
Gerald machte eine abwehrende Geste. » Nicht der Rede wert. Wir tun alles, um Ihnen zu helfen.«
» Ich bin dabei, mir ein Bild von Rebeccas Persönlichkeit zu machen, und spreche dazu mit Leuten, die sie gut gekannt haben. Ich würde Sie gern bitten– falls es Ihnen nicht gar zu schwer fällt–, mir
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