Der Brennende Salamander
Brigida wissen.
Weil man den Blick immer auf den wichtigsten Teil des Gesichts lenken muß, belehrte sie Rocco und strich zunächst mit den Fingerspitzen die Konturen nach. Um sich einzuleben in sein Werk, wie er ernsthaft erklärte.
Da Brigida keinerlei Erfahrung mit solcher Schönheitspflege hatte, nickte sie ergeben und ließ alles klaglos über sich ergehen. Auch als Vincenzo die Augenbrauen mehrmals falsch zog, so daß sie ihn irgendwann fragte, ob sie vielleicht als Arlecchino gehen solle, und selbst als wir uns nicht einigen konnten, zu welchem Aufgabenbereich das Kinn gehöre, zum Mund oder zur Wange, blieb sie geduldig auf ihrem harten Stuhl sitzen.
Schließlich schien alles so zu sein, wie wir es uns vorgestellt hatten, auch wenn Brigida im geheimen der Meinung gewesen sein dürfte, daß sie vielleicht doch besser eine Schminkmeisterin hätte engagieren sollen, da sie wegen der glasierten Wangen so gut wie nicht lachen durfte, was ihr keinesfalls gefiel.
Irgendwann spannten wir dann in voller Harmonie unsere Stute vor den buntgeschmückten Wagen und bildeten uns ein, eine wunderbare Gauklertruppe darzustellen, obwohl keiner von uns irgendein Kunststück beherrschte, so daß wir nur mit Tamburin, Schellenrassel, Laute und Posaune musizierten. Lediglich Daniele führte seine Stelzen vor, ohne darin besonders perfekt zu sein. Als wir später zu Fuß singend durch die Straßen der Stadt zogen und Palle ! Palle ! riefen, nahm uns Brigida plötzlich der Reihe nach in den Arm, küßte jeden, und es schien ihr egal zu sein, daß von ihrer kunstvoll geschminkten Gesichtsmaske nichts mehr übriggeblieben war.
Es gibt ihn nicht mehr, sagte sie ausgelassen. Er ist weggeweht. Spürt ihr es?
Rocco packte sie und wirbelte mit ihr davon. Daniele nahm seine Stelzen unter den Arm, und wir alle liefen ihr hinterdrein.
Wer ist weggeweht?
Der Tod, sagte sie lachend. Es gibt ihn nicht mehr. Er hat sich verausgabt, in Prato. Es wird eine neue Zeit beginnen, wir werden wieder die Gedichte Lorenzos aufsagen, er wird unter uns sein, unter uns, die wir damals zu jung waren, um ihn wirklich zu erleben. Panem et circenses . Für immer. Und alle Angst wird verschwunden sein. Erinnerst du dich noch? fragte sie dann, plötzlich ernst werdend, und schaute mich an. Jetzt bin ich genauso, wie du es damals wolltest.
Und ob ich mich erinnerte.
Wir waren an jenem Sommertag mit unserem mehr als altersschwachen Boot auf den Fluß hinausgerudert. Irgendwann hatte sie mir das Ruder aus der Hand genommen und gesagt: Hör auf! Das Geräusch stört. Ich möchte den Fluß hören. Ich will wissen, was er sagt.
Den Fluß hören? fragte ich ratlos, und schaute auf das Wasser, das träge dahinfloß. Wie kann man einen Fluß hören?
Sie schüttelte den Kopf. Hörst du ihn? fragte sie und legte den Finger auf den Mund. Und dann: Hörst du sie nicht?
Wen?
Nun, sie zögerte, die Toten.
Ich setzte mich abrupt hoch, so daß das Boot gefährlich ins Schwanken kam. Was meinst du?
Nun, hast du dich nie gefragt, was mit ihnen geschieht, wenn man sie in den Fluß wirft? Da liegen sie doch dann alle auf dem Grund, bis ans Ende der Zeiten. Wenn nicht ganz, dann in Stücken. Der Arno, ein riesiges Grab für all die, denen man kein anderes Begräbnis gönnt.
Ich will daran nicht denken, sagte ich grob. Hör auf damit! Es paßt nicht zu diesem Tag.
Du mußt daran denken! sagte sie sanft. Es kann immer sein. Einmal habe ich zugeschaut, wie sie eine Leiche hineinwarfen, es war Nacht.
Und du hast niemandem Bescheid gesagt?
Sie zuckte mit den Achseln. Weshalb hätte ich sollen? Wem hätte es genutzt? Meine Mutter hätte mir nicht geglaubt, sie glaubt nie etwas, was sie nicht glauben will. Und mein Vater hätte nichts unternommen. Man rutscht nur selbst hinein, murmelte er einmal, als wieder einmal ein Mord geschehen war. Es ist besser, man sieht erst gar nicht hin, wenn man in dieser Stadt lebt.
Der Ausklang dieses Tages damals war anders als sonst. Ich nahm es ihr übel, daß sie etwas zerstört hatte; es hätte nicht sein müssen.
Man muß alle Gedanken haben dürfen, sagte sie ernst, als wir uns verabschiedeten. Alle.
Ich nickte, mehr störrisch als überzeugt. Und wußte zugleich, daß ich nie alle Gedanken haben wollte. Es gab Dinge, an die ich gar nicht erst denken wollte. Aber natürlich wollte ich nicht, daß Brigida mich für feige hielt. Und so sagte ich versöhnlich, weil ich wollte, daß zwischen uns wieder alles war wie ein klarer See, daß
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