Der Brennende Salamander
berühren, was Savonarola einst verboten hatte. Hier fand ich sie alle wieder, die Autoren, deren Schriften er damals auf seinem talamo hatte verbrennen lassen: Dante, Boccaccio, Petrarca und viele andere, deren Namen ich inzwischen längst vergessen hatte. Ich suchte mir Abbildungen zusammen, von denen ich annahm, sie könnten Dionysos ähnlich sehen, und versuchte, mich dem ungewohnten Sujet auf den unterschiedlichsten Wegen zu nähern. Ich verbannte alle Marienbilder und gekreuzigten Christusfiguren aus meiner Vorstellung und machte die ersten Skizzen. Von Bacchus – oder dem, was ich für ihn hielt, wobei ich zugeben muß, daß ich in der gleichen Zeit gewiß drei Madonnen gezeichnet hätte. Ein Eingeständnis, das mich nicht unbedingt mit Hochgefühl erfüllte und meine alte Furcht vor einemVersagen wieder wie ein schwarzes Tuch über mich herabfallen ließ.
Als ich spürte, daß dieses schwarze Tuch dicker und schwerer wurde, entschloß ich mich, in die Stadt zu gehen und Farben zu kaufen, um mich aufzuheitern. Außerdem war ich neugierig auf die Serenissima, die ich bisher nur von Bildern und Erzählungen her kannte.
Nachdem ich mich von Gasse zu Gasse durch die engen Straßenzüge bis zum Markusplatz hindurchgefragt hatte und dort eher hilflos eine halbe Stunde lang von einer Ecke zur anderen geschickt worden war, ohne zu finden, was ich suchte, hatte ich das Gefühl, die Stadt sei zu groß für mich, zumindest an diesem Tag. Sie erdrückte mich mit ihren Geräuschen, ihren Gerüchen, ihren gigantischen Bauten, ihrer Schönheit. Ich war zu dieser Stunde ganz offensichtlich nicht bereit für sie. Also verschob ich das Kennenlernen auf einen späteren Zeitpunkt und flüchtete mich zurück in den Palazzo. Ohne Farbe, da ich nicht einmal den Laden fand, den die Dienerin mir genannt hatte.
Ich setzte mich also zunächst mit meinem Skizzenblock in diesen gewaltigen alten Steinsessel vor dem Haus und starrte auf den Canal Grande hinaus. Und stellte fest, daß mir nichts einfiel. Keine erheiternde Situation für einen Maler. Dann entschloß ich mich, den Garten zu erkunden, den ich bis jetzt kaum zur Hälfte kannte, vor allen Dingen hatte es mir jene farbige Wand angetan, die ich bei meinem Kommen hinter dichten Büschen erspäht hatte. Ich schlenderte die geschwungenen Kieswege entlang und kam dann in einen Teil, der mich an einen Friedhof für Steinplastiken erinnerte: geborstene moosbewachsene Säulen, vom Wasser halb ausgelaugte Gesichter aus Stein, deren Wangen man nur noch ahnen konnte, eine Lyra, an der der halbe Körper eines Amors hing, Putten, die sich mit müdem Blick an brüchige Mauern lehnten, ein Pferdekopf, dessen Feuer längst erloschen war.
Die farbige Wand gab auch jetzt ihr Geheimnis nicht preis: Zwar konnte ich die Büsche zum Teil zur Seite biegen, aber die Wand war starr und ließ sich nicht bewegen; vermutlich reagierte sie nur auf einen geheimen Knopfdruck.
Gegen Abend ging ich in die ehemalige Kapelle, legte den Skizzenblock zur Seite und setzte mich auf den Schemel, der mich an meinen vertrauten Schemel in Florenz erinnerte. Dann versuchte ich ein zweites Mal den Raum in mich aufzunehmen, ihn zu ›lernen‹ wie eine neue Sprache. Ich fertigte in meinem Kopf Skizzen an, verwarf sie und machte neue.
Irgendwann hatte ich genug von meinen Kopfgeburten, griff nochmals zu meinem Block und empfand plötzlich ein ungeheures Gefühl der Befreiung. Niemand, der von mir forderte, für fünf Librae Blaugrund zu malen oder für zehn Librae Musivgold, niemand, der mich in einen Vertrag zwang, niemand, der mir gebot, in einer bestimmten Zeit fertig zu sein. Und dann spürte ich sie plötzlich: Ich spürte, wie sich meine Haut dehnte, spannte, spürte, wie sie mir wuchsen, diese Flügel, die so ganz und gar ungewohnt für mich waren.
Und vermißte die Zwänge nicht mehr, die bisher alles geregelt hatten. Es erfüllte mich mit Wollust, frei im Weltraum zu schweben.
Hatte nicht Nardos Mutter mit aller Entschiedenheit gesagt, sie wolle keine Dispute, sie wolle fertige Sachen sehen und nicht entscheiden, ob diese Figur im Vordergrund stehe und jene im Hintergrund? Sie sei keiner der üblichen Auftraggeber, die am liebsten ihre Bilder selber malen würden und später, nachdem sie fertig seien, unentwegt an ihnen herumkritteln. Sie finde es zum Beispiel wunderbar, was Michelangelo gemacht habe, als eines Tages ein Niemand an der Nase seines Davids herumgemäkelt hatte: Michelangelo legte eine Leiter
Weitere Kostenlose Bücher