Der Brennende Salamander
Ritual mit kaum sichtbaren Kopfbewegungen, grazilen Bewegungen ihrer rechten oder linken Hand oder dem leichten Emporheben einer Augenbraue. Das Ganze lief ab, als sei es seit Jahrhunderten geübt und als verändere sich nie etwas daran: auf schneeweißem Linnen glänzte silbernes Tafelgeschirr, Teller, Näpfe und Gefäße, die die Gestalt der Tiere hatten, die als Grundlage des Gerichts dienten, das sie enthielten. Silberne Gabeln und Messer mit Elfenbeingriffen lagen an jedem Platz. Und alles lief so lautlos ab, als bedienten hier Geister und nicht drei leibhaftige Diener in phantasievoller Livree.
Die Mahlzeit begann seltsamerweise mit einer Konfitüre, die Nardo aus dem Orient mitgebracht hatte, dann folgte eine Eiersuppe mit Pfefferkörnern, Honig und ziemlich viel Safran. Und während eineUnzahl an Schüsseln mir zugereicht und an mir vorbeigereicht wurde, fragte ich mich, welche Menge Safran hier wohl verwendet worden war – schließlich wußte jedermann, daß man für ein Pfund dieses Gewürzes ein Pferd kaufen konnte. Zum erstenmal in meinem Leben erfuhr ich, was es bedeutet, zu schlemmen: Wildpastete vom Hirsch, eine Goldbrasse im Bratmantel, gefüllte Poularde, ein Krebsgericht in leuchtendem Rot, das mir mehr als fremd erschien, Konkavelite, ein Gericht, dessen Namen mir niemand erklären konnte, Morcheln in Mandelmilch, Wachteln – alles landete auf meinem Teller, wobei die Reihenfolge vermutlich eine bestimmte Ordnung hatte, die sich mir nicht offenbarte und so verwirrend schien, daß ich später nicht mehr hätte sagen können, ob ich das eine vor dem anderen gegessen hatte oder danach.
Ich schlief schlecht in dieser ersten Nacht.
Ich lag in einem Bett unter einem elfenbeinfarbenen seidenen Baldachin, auf derbequemsten Matratze, auf der ich je gelegen hatte, aber ich wälzte mich von einer Seite auf die andere. Von einer Stunde zur nächsten. Ich lag in einer Kammer, die mir fremd schien, obwohl ein Raum im Hause des Messer Orelli ebenfalls mit seidenen Wandbehängen ausgestattet war wie hier, doch handelte es sich in diesem Fall um orientalische Muster, Seidenstoffe, die ganz gewiß aus China stammten.
Dann glaubte ich ständig, irgendwelche Geräusche zu vernehmen: Mal schien es mir das Zischen von Wasser zu sein, mal ein Stampfen und Klopfen, dazwischen meinte ich, schräg unter meinem Fenster Stimmen zu hören.
Andere Geräusche vermißte ich, und ihr Fehlen machte mir angst. Weder gab es hier Rädergeräusche noch hörte man nächtliche Heimkehrer, die über Gebühr gezecht hatten. Das einzig Beruhigende war das Gleichmaß der Wellen, die in einem steten Rhythmus an das Kanalufer drifteten, sehr sanft.
Irgendwann im Morgengrauen, als der Kanal bereits wieder zum Leben erwachte und sich Fischer und Gondoliere unter meinem Fenster über irgend etwas stritten, was ich nicht verstand, da sie Venezianisch sprachen, mußte ich wohl eingeschlafen sein. Am Rande des Schlummers hörte ich wieder den schrillen Schrei des Pfaus, dem kurz darauf ein zweiter, schwächerer folgte.
Und dann am Vormittag der Schreck.
Nardo und ich hatten soeben gemeinsam unsere Morgenmahlzeit zu uns genommen – sie wurde in einem kleinen Zimmer neben der sala serviert und war gegenüber dem abendlichen Festessen eher karg –, als er erklärte, daß seine Mutter bereits auf mich warte. Ich erhob mich rasch, fragte nach dem Weg zur Kapelle, da ich den Raum bei meinem kurzen abendlichen Rundgang durch den Palazzo, der nach dem üppigen Essen stattfand, nicht gesehen hatte.
Nardo schob seinen Teller zurück und sagte lächelnd und ohne alle Verlegenheit: Die Kapelle gibt es nicht mehr. Wußtet Ihr das nicht?
Ich schüttelte benommen den Kopf und starrte ihn an. Dabei sah ich mich bereits wieder auf meinem temperamentvollen Hengst nach Florenz zurückreiten, eine Enttäuschung, die offensichtlich von meinem Gesicht abzulesen war.
Nein, nein, niemand wird Euch zurückschicken, sagte er lachend. Meine Mutter wird Euch alles erklären.
Ich nahm mein Mundtuch, wischte mir langsam die Lippen ab und legte es dann wieder auf den Tisch zurück.
Ihr braucht keine Angst zu haben, sagte er nochmals, es ist alles in Ordnung. Sie wird Euch gleich alles sagen, sie erwartet uns im Garten.
Aber weshalb gibt es die Kapelle nicht mehr? fragte ich zögernd, während wir den Raum verließen.
Nardo zuckte mit den Achseln. Sie sagt, sie braucht sie nicht mehr. Ich habe sie übrigens auch nie gebraucht, aber das haben sie Euch gewiß
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